Warum das Urteil im Prozess Depp/Heard weise und gefährlich ist
Als die Meldung kam, dass Amber Heard laut einstimmigem Urteil im Verleumdungsprozess ihrem Ex-Ehemann Johnny Depp 15 Millionen Dollar zahlen muss, kam beim Autor dieser Zeilen kurz Freude auf. Nicht primär deshalb, weil er ein Fan der frühen Filme von Depp ist (als Pirat agiert er an der Grenze der Erträglichkeit), sondern weil vor Gericht immer Eines gelten muss: In dubio pro reo – im Zweifel für den Angeklagten.
Allerdings war Depp in diesem Prozess selbst Kläger, womit die Sache gleich viel komplizierter wird. Und je länger man sich Gedanken darüber macht, vor allem auch: je mehr gehässige Reaktionen auf das Urteil man liest, desto mehr erkennt man die Sprengkraft, welche die Gesellschaft wieder einmal in zwei Lager teilt. Und man gelangt zur Überzeugung, dass es bei diesem Prozess nur Verlierer gibt und dieses Urteil (auch Depp muss an Heard zwei Millionen Dollar überweisen) zwar verhältnismäßig weise war, aber niemals richtig sein kann.
Aus Sicht der Depp-Adepten ist es ja relativ einfach: Endlich ein Prozess, der nicht automatisch mit dem Schuldspruch des Mannes endet. Vielleicht haben doch nicht alle, denen man #MeToo-Vergehen vorwirft, diese auch begangen. Hoffentlich beginnt man zu differenzieren zwischen den einzelnen Fällen, Depp ist nicht Harvey Weinstein, auch nicht Kevin Spacey und hat schon gar nichts mit Plácido Domingo zu tun. Jeder Fall ist anders gelagert und kann nur individuell beurteilt, nicht mit einem Pauschalverdacht abgetan werden. Möglicherweise kommt manche(r) auch drauf, dass man Machtstrukturen nicht nachhaltig mit Stellvertreterkriegen bekämpft, etwa mit „woken“ Themen wie dem aufgezwungenen Gendern. Aber das nur nebenbei.
Auf der Gegenseite stellen sich ebenso Fragen. Hat Heard nur verloren, weil sie vor Gericht die schlechtere Schauspielerin (mit den schlechteren Anwälten) war? Ist dieses Urteil wirklich ein „Freispruch“ für Depp und ein Freibrief für gewaltbereite Männer? Wie soll sich die sprichwörtliche Supermarkt-Kassiererin gegen einen Mann wehren, wenn das nicht einmal einem reichen Hollywood-Star gelingt? Stimmt es, was die New York Times bereits mutmaßt, dass nämlich dieses Urteil der Tod der #MeToo-Bewegung sei? Darf sich die Männerwelt nach Jahren der Verunsicherung tatsächlich bestärkt fühlen? Und worin?
Die Wahrheit (die wir bezüglich des Brautgemaches im Hause Depp nie erfahren werden) liegt wohl in der Mitte, dass sich dieses Urteil nämlich einer klaren Stellungnahme entzieht. Wenn man es optimistisch interpretiert, wird der Ball zurück zu den Menschen gespielt, auf dass sie sich bewusst machen, was geht und was nicht. Da liegt in den Köpfen Vieler Vieles im Argen. Unterdrückung, Demütigung, Gewalt beginnt immer lange, bevor es zum Prozess kommt.
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