Von Depp und Becker bis Kurz: An den Pranger

"Das Internet ist außergewöhnlich dumm“, hieß es zuletzt in der Zeit. Nicht ganz falsch. Allerdings möchte man ergänzen: Auch das Internet ist nur das, was Menschen daraus machen.
Der Anlass für diese zugespitzte Diagnose war der Prozess zwischen der Schauspielerin Amber Heard und ihrem Ex-Ehemann und Kollegen Johnny Depp. Und der Vorwurf der Dummheit zielte auf die sozialen Medien ab, die wieder einmal einen Gerichtssaal außerhalb des Gerichts bildeten, einen in die Gegenwart geholten mittelalterlichen Pranger, einen Ort, an dem sich Hobbyjuristen und mit Vorurteilen bewaffnete Meinungsdiktatoren auskotzen können. Wie Frau Heard und Herr Depp ihren Rosenkrieg führen, der unabhängig vom Urteil nur Verlierer hinterlassen wird, wie die beiden einander öffentlich die Augen und den letzten moralischen Anstand auskratzen, ist widerlich. Der mediale Umgang damit ist es aber ebenso.
Niemand außer den Protagonisten weiß, was im Bett oder in anderen Kampfzonen wirklich passiert ist. Vieles davon will man gar nicht wissen, und es ginge, solange es im rechtlichen Rahmen bleibt, auch niemanden etwas an. Aber eine solche Schlammschlacht animiert naturgemäß auch unbeteiligte Dreckschleudern – und viele, die die beiden nur einmal auf einer Leinwand gesehen haben, urteilen final über die Vorfälle auf dem ehelichen Leintuch. Lust am Boulevard gab es immer schon, früher war es die Bassena. Durch die soziale Medien haben die Laienrichter heute aber eine nie dagewesene Öffentlichkeit. Das konnte man, freilich in anderer Form, schon bei Impfdebatten beobachten, wo Expertise auch weniger wichtig war als Lautstärke.
Was bei Depp/Heard dazukommt, ist die breit gestreute Lust am Untergang von Idolen, am Absturz derjenigen, die davor in den Himmel gehoben wurden. Die bewunderten Götter werden wieder zurück auf die Erde geschleudert, zu Menschen gemacht, nicht zu den beliebtesten.
Ein ähnliches Schicksal ereilte auch Boris Becker, dessen Haft mit einer Häme begleitet wird, die wohl aus ausgeprägten Neidkomplexen, Missgunst und Spießigkeit resultiert, konsequent deutsch jedenfalls. Wer sich erinnern kann, wie Becker gefeiert wurde, als er als 17-Jähriger zum ersten Mal Wimbledon gewann, ist schockiert, wie Grenzen fallen können. Erst zujubeln, dann in den Abgrund stoßen – da braucht man sich nicht zu wundern, dass viele Stars ihr Heimatland verlassen.
Auf politischer Ebene gibt es übrigens durchaus Parallelen zu Sebastian Kurz. Als er nicht mehr Kanzler war, kamen alle aus ihren Verstecken, die immer schon gewusst hatten, was er falsch macht. Wen kümmert in Zeiten der Schwarz-Weiß-Malerei, der öffentlichen Vorverurteilung schon Differenzierung. Die Meute im Netz jedenfalls nicht.

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