Verzicht im Überfluss

Martina Salomon

Martina Salomon

Ein wachsender Geschäftszweig lebt gut davon, die Menschen mt möglichst wenig Nahrung zu versorgen.

von Dr. Martina Salomon

über das Fasten

Essen Sie noch oder fasten Sie schon? Wer zur gesellschaftlichen Elite zählen will, hat eine zum Showroom mutierte Küche, in der nur ganz selten, dann aber mit heiligem Ernst gekocht wird. Und je gehobener die Ansprüche, desto ernsthafter wird Verzicht geübt. Ein wachsender Geschäftszweig in unserer Überflussgesellschaft lebt gut davon, die Menschen möglichst teuer mit möglichst wenig Nahrung zu versorgen. Am besten mit übersinnlicher Komponente. Man betrachte nur die Start up-Szene: Es sind ja weniger die Technik-Nerds, sondern die Klangschalen-Esoterikerinnen, die die Unternehmensgründungszahlen zur Freude des Wirtschaftsministers in die Höhe treiben.

Verzicht scheint zur DNA des Menschen zu gehören, sonst würde es nicht in fast allen Weltreligionen Fastenriten geben. Umgekehrt ist Essen zur Religion vieler areligiöser Menschen geworden. Manche kasteien sich praktisch rund um die Uhr, versetzen sich freiwillig in die Steinzeit(-Diät) oder lassen alle tierischen Produkte inklusive Butter und Eier weg. (Tragen die alle nur noch Plastik-Schuhe?) Leider sind viele Verzichts-Apostel mittlerweile wahre Essens-Talibans. Ethisch korrekt essen ist oberste Bürgerpflicht.

Natürlich spricht nichts dagegen, zumindest einmal im Jahr innezuhalten und über eigene (schlechte) Gewohnheiten nachzudenken. Der rituelle Verzicht lässt sich ja auch auf andere Felder ausdehnen – mit durchaus heilsamem Effekt, nicht nur zur Fastenzeit: Stiegensteigen statt Lift. Ein Buch lesen statt Facebooken. Handy weglegen und mit der Familie reden. Einen Monat auf Koalitionsstreit verzichten. Jeden Tag eine gute Nachricht statt nur bad news bringen.

Und das Essen? Fasten Sie ruhig, wenn Sie einen Sieg über sich erringen und Bewunderung für Ihre Konsequenz ernten wollen! Aber eigentlich sollten wir froh sein, in einer Gesellschaft zu leben, die so wenig Sorgen hat, dass sie sich ständig den Kopf über die normalste Sache der Welt zerbrechen kann. Mahlzeit!

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