Urheberrechtsreform: Warum ich meine Meinung geändert habe

Georg Leyrer über die schmerzlichen Gründe eines fundamentalen Gesinnungswandels gegenüber dem Netz.
Georg Leyrer

Georg Leyrer

Liebe Netzaktivisten und Netzpolitiker, liebe Netzdogmatiker und Computeranarchisten: ich war wie ihr. Viele Jahre lang badete ich mich im Bewusstsein, etwas Großem auf die Spur gekommen zu sein: Dass nämlich das Web, wie es sich in den Nullerjahren entwickelte, gut ist für uns. Uns Kulturmenschen, uns Journalisten, uns als Demokraten. Ich habe technologiebeschränkte Künstler, die sich für Einschränkungen in der Verbreitung ihrer Werke einsetzten, mitleidig lächelnd angeschaut, mich gefreut, als sich manche Musiker aus den Fesseln der Labels und die Nachrichten aus dem Papier befreit haben. Ich habe die meinungsverzerrende Macht großer Verlage angeprangert. Und ich habe, manchmal zornig, manchmal gut gelaunt, das Netz verteidigt – gegen Einschränkungen, gegen Zensur über die Hintertür via Urheberrechtsverschärfung.

Und dann habe ich mit zunehmender Irritation, zuletzt mit Abscheu beobachtet, wie diese Ideen alle den Bach runtergingen, ja in der Perversion dessen endeten, was wir uns vorgestellt haben. Nicht wegen böser Politiker und böser Medien. Sondern aus eigenen Kräften. Künstler hatten einen direkten Kanal zum Publikum, freuten wir uns. Bis wir lernten, dass die Menschen halt lieber „Despacito“ und „Gangnam Style“ anklicken als die handgemachte Liedkunst toller Künstler. Und dass ebendiese tollen Künstler ein Joch – böse, böse Labels! – gegen ein anderes austauschten: Sie müssen jetzt bei Spotify und bei YouTube um Groschen kämpfen, mit immer feigerer Musik. Oder dauernd auf Tour gehen – und dort Ticketpreise verlangen, die Menschen erst wieder von Kultur ausschließen. Oder beim Publikum direkt um Geld betteln. Ist das die Position, die Kultur einnehmen soll – auf Knien rutschend, vor großen Plattformen, vor Konsumenten, die nur gnadenhalber zahlen?

Aufmerksamkeit

Genauso der Journalismus. Was wurde uns, was haben wir uns versprochen? Endlich sind wir dank Social Media alle live auf Sendung, nahe am Leser/Hörer/Seher. Es würde sich Qualität durchsetzen, und Sorgfalt, und Tiefe. Was für ein Desaster ist es geworden: Die Zahl der arbeitenden Journalisten, vor allem jener, die lokal berichten, ist kollabiert. Die Arbeit hat sich bei vielen weg vom Anspruch zu informieren verschoben: Es geht ausschließlich um Aufmerksamkeit, und da blühen halt nur bestimmte Portale.

Journalismusfinanzierung ist immer noch vom Papier abhängig.  Die alternativen Journalismusfinanzierungsmodelle? So gut wie alle kollabiert. Abhängigkeit von Milliardären? Toll, sicher gut für den Journalismus. Facebook und Google sind jene, die News verbreiten? Toll, die haben ja weder Eigeninteressen noch sind die eine Black Box, gegen die auch noch so große Medien hilflos sind. Springer oder auch die Mediaprint sollen ein Problem sein? Aber die Macht der ungleich größeren US-Konzerne über die freie Presse nicht? Es sind die Hassobjekte von einst zu Underdogs geworden. Doch die Kritik ist da nicht mitgekommen.

Selbstbeschränkung

Gleichzeitig hat sich das freie Netz in Luft aufgelöst – und zwar dort, wo es zählt: bei den meisten Menschen. Ja, es gibt euch noch, euch bewundernswerte Netzaktivisten, die ihr die Freiheit und die Demokratisierung etc vorantreibt. Ihr habt nur leider keinen großen Erfolg. Für die Menschen ist (wie einst AOL) Facebook, Youtube, Instagram, Snapchat, sprich: die Großplattformsapp „das Internet“. Von Freiheit keine Spur: Es gilt die freiwillige Selbstbeschränkung. Das ist auch bei der aktuellen Reformdiskussion zu beobachten: Dass die Urheberrechtsreform nichts damit zu tun hat, was man auf eigene Server hochlädt, kümmert keinen, aber wenn ich urheberrechtlich Geschütztes nicht auf YouTube verbreiten kann, droht uns ein Leben wie in China?

Das „freie Internet“ ist eine Illusion, der leider allzu wenige nachhängen, die es dafür aber umso dogmatischer auf den Lippen führen. Dabei ist es auch in Europa und Amerika längst tot – zumindest als Demokratisierungsmaschine, als positives Forum, als Verfeinerungskatalysator. Ich verstehe, dass viele zögerlich sind, sich das einzugestehen, und lieber auf dem Glaubensgrundsatz der Internetverteidigung gegen Medien und Künstler beharren. Viele von uns (sorry, ich sage immer noch: uns) haben Jobs bekommen – Techjournalismus, IT, IT-Dienstleistung, Lobbying -, in denen es ausgeschlossen ist, das in den Nullerjahren gewonnene Bild vom Netz zurechtzurücken. Weil die damals errichteten Glaubensbekenntnisse jobentscheidend sind. Man hat sich damals eine Brille aufgesetzt, durch die man das Netz sieht – und die muss aus ökonomischen politischen, auch emotionalen Gründen draufbleiben, auch wenn sich die Welt davor radikal ändert.

Für mich sind die Änderungen zu tiefgreifend gewesen, um auf meiner Meinung zu beharren. Mit kaltem Blick betrachtet, hat das freie Internet für die Kultur nichts gebracht, den Journalismus beschädigt, und dort, wo es gesellschaftspolitisch schlagend wurde, die Gefühlslage in eine Richtung gedrückt, die ich nicht teile. Das ist natürlich kein Grund, das Netz zu zensieren. Aber es ist ein Grund, die so flammend geführte Freiheitsrhetorik zumindest zu überdenken. Ich finde: Es ist Grund, diese sein zu lassen. Das freie Netz ist eine Illusion. Die Urheberrechtsreform betrifft das Netz dort, wo es wirklich frei ist, nicht. Und für mich überwiegt eine Stärkung von Medien und Künstlern – und die Wichtigkeit dessen für die Gesellschaft - den Anteil an Kritik, den ich am Gesetzesvorschlag teile.

Nicht ideal

Denn ja: Die Reform ist alles andere als ideal. Aber wisst ihr was: Das ist Politik nie, zumindest nicht, wenn viele mitreden, in der Demokratie also. Jahrelang haben sich die Netzaktivisten selbst immunisiert mit der Ansage, dass nur eine wirklich perfekte, auf alle Gefahren sensibilisierte, von wirklich allen abgenickte Urheberrechtsreform vollzogen werden soll. Die Chance dazu, das wissen sie, ist gleich null.

Werde ich meine Worte essen? Vielleicht. Vielleicht wird, wenn die Reform überhaupt durchgeht, das Internet ruiniert. Ich sehe im Moment keinen Grund, dass die Reform im Trilog wirklich so bescheuert ausformuliert wird, dass Wikipedia und Memebastler und Dissidenten und Künstler mit eigenen Werken nennenswerte Probleme kriegen. Vielleicht gewinnen ja wieder nur die Großen. Oder sie ziehen sich aus Europa zurück? Wenn, dann habt ihr recht gehabt. Aber: Ich bin überzeugt, dass ihr falsch liegt. Und dass ihr auf Astroturfing und Vergangenheitsscheuklappen hereinfällt.

Wenn dem nicht so ist – dürft ihr mich dann beschimpfen. Derzeit aber bin ich froh, wenn das Urheberrecht reformiert wird.

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