Überwachung: Die Suche nach der roten Linie

Gastkommentar von Thomas Lohninger (AKVorrat) und Christof Tschohl (Ludwig Boltzmann Institut für Menschrechte)

Die EU muss für Grundrechtsschutz sorgen

von Thomas Lohninger

über Überwachung und Verhältnismäßigkeit

Am 9. Juli 2013 wurde eines der wichtigsten Menschenrechtsthemen im höchsten Gericht der Europäischen Union verhandelt. Konkret geht es um die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung ( VDS), eigentlich aber um die Frage, wo und wie die rote Linie zwischen den Grundrechten auf Privatsphäre und Datenschutz gegenüber Überwachungsmaßnahmen zum Zweck der Sicherheit verläuft. Die pauschale, verdachtsunabhängige Speicherung aller Kommunikationsdaten existiert seit 2006 als Richtlinie in der EU, durch welche alle 28 Mitgliedsstaaten dazu verpflichtet sind, ihre Bevölkerung permanent zu überwachen. Im Übrigen ist der AKVorrat mit seiner Bürgerinitiative nach wie vor der Meinung, dass die VDS an sich abgeschafft werden muss. 105.067 Menschen in Österreich haben mit einer Petition ans Parlament für die Abschaffung der VDS letzten Herbst zum Ausdruck gebracht, wie sehr diese Überwachungsmaßnahme den Unmut der Bevölkerung geweckt hat. Obwohl die Bürgerinitiative vom Parlament nur in eine Schublade verfrachtet wurde, haben wir uns davon nicht entmutigen lassen und sind zum nächsten Schritt, unserer Verfassungsklage, übergegangen. Auf Verfassungsklage.at haben sich 11.139 Menschen unserem Verfahren mit einer unterschriebenen Vollmacht angeschlossen. Gemeinsam mit einem anderen Einzelkläger und der Kärntner Landesregierung konnten wir so unsere Bedenken beim Österreichische Verfassungsgerichtshof einbringen und das Gesetz unmittelbar anfechten. Die Anträge hatten in einem ersten Schritt Erfolg, der Verfassungsgerichtshof teilte unsere Bedenken und ersuchte - wie von uns erhofft und angeregt - den EuGH um eine Vorabentscheidung. In dieser Vorabentscheidung geht es um die Kernfrage unserer Kritik, ob nämlich eine verdachtsunabhängige, Pauschalüberwachung der gesamten Bevölkerung mit dem Grundrecht auf Datenschutz und Privatsphäre vereinbar ist. Der EuGH konnte also endlich die Wurzel des Problems, die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung selbst, prüfen. Das 15 köpfige Richtergremium stellte schon im Vorfeld der Verhandlung sehr kritische Fragen. Man wollte von den Verfahrensteilnehmern wissen, was die VDS seit ihrer Einführung als EU-Richtlinie 2006 effektiv zur Verbrechensaufklärung in der Union beigetragen hat, also wie Nützlich die Maßnahme überhaupt ist. Welche objektiven Kriterien zur Einführung der VDS geführt haben und wie man damals gerade auf eine Speicherdauer von 6 bis 24 Monaten gekommen ist. Den Wesenskern des Problems erfassend schien auch die Frage nach den Möglichkeiten, Persönlichkeitsprofile aus Vorratsdaten zu erstellen und welche Missbrauchspotentiale sich aus so einer Datenspeicherung ergeben, insbesondere im Hinblick auf das Outsourcing der Daten in Drittländer wie die USA. Alle diese Fragen sind nicht neu, Kritiker der Richtlinie fordern schon seit Jahren von der Politik klare Antworten auf diese Punkte. Nur war die Situation vor Gericht eine komplett andere, die Befürworter konnten sich zum ersten Mal nicht hinter fadenscheinigen Ausreden verstecken, sondern mussten Fakten auf den Tisch legen, und an den Stellen wo diese Fakten und Argumente Lücken aufwiesen, haben die Richter unerbittlich nachgebohrt. Besonders der vorsitzende Richter Thomas von Danwitz machte im Verfahren an vielen Stellen von seinem Rederecht gebrauch und nahm Vertreter von EU-Parlament und Kommission ins Kreuzverhör. Damit das Gericht über die Gültigkeit der VDS entscheiden kann, muss es eine Abwägung treffen zwischen dem Zugewinn an Sicherheit und dem Verlust an Freiheit durch so eine Überwachungsmaßnahme. Für jeden Grundrechtseingriff sind dabei drei Kriterien relevant, die Nützlichkeit, Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit der Maßnahme. Bei der Nützlichkeit wird gefragt ob die VDS dabei hilft schwere Straftaten aufzuklären, hier müsste man Statistiken vorweisen wie die Aufklärungsquote nach der Einführung der VDS bei schweren Straftaten gestiegen ist. Nach solchen Zahlen fragte das Gericht aber vergebens, einzig Österreich hat Statistiken vorgelegt. Aber auch hierzulande hat sich trotz mehr als einem Jahr VDS die Aufklärungsquote nicht verbessert und das obwohl Vorratsdaten bei uns sogar für die Aufklärung von Diebstahl, Suchtmittel und Stalking Delikten verwendet werden, also keines Wegs nur für schwere Kriminalität oder Terrorismus. Die Notwendigkeit so einer Maßnahme ist ebenfalls zu bestreiten, weil die VDS in vielen Ländern erst recht spät und in manchen bis heute nicht umgesetzt wurde. Keines dieser Lände versinkt im Chaos oder ist besonders häufiges Ziel von Terrorismus oder schweren Straftaten. Wenn Nützlichkeit und Notwendigkeit schon schwer zu beantworten sind, muss die Verhältnismäßigkeit umso stärker geprüft werden. Genau in diesem Punkt haben sich aber mehrere Parteien kritisch geäußert. Neben allen drei anwesenden Beschwerdeführern hat sich auch der Europäische Datenschutzbeauftragte der Meinung angeschlossen die VDS wäre nicht verhältnismäßig. Österreich ist in seiner schriftlichen Stellungnahme eine Antwort auf diese Frage schuldig geblieben und musste im Verfahren eingestehen, dass es hier keine einheitliche Meinung innerhalb der Bundesregierung gibt. Direkt gefragt ob er die VDS verhältnismäßig findet, verweigerte der Vertreter Österreichs sogar die Aussage und berief sich auf Weisungen die ihm eine Antwort verbieten würden.

Die Richter haben auch immer wieder einen Punkt her vor gehoben: nicht erst die Mitgliedsstaaten müssen sich in der Umsetzung von EU-Gesetzen darum kümmern, ob diese Grundrechtskonform sind, sondern die EU ist selbst dafür verantwortlich in ihren Gesetzen für einen ausreichenden Grundrechtsschutz zu sorgen. Im Falle der VDS wurde nämlich so argumentiert, dass die Abwägung zwischen den Grundrechten erst von den Mitgliedsstaaten in der Umsetzung der Richtlinie passieren soll. Das war natürlich lächerlich, da in Rumänien sogar das Höchstgericht entschieden hatte, dass die Richtlinie und jede mögliche Umsetzung nicht mit den Menschenrechten vereinbar ist, trotzdem wurde dieses Land nicht von der Verpflichtung die Richtlinie umzusetzen entbunden. Dem Verfahren leider fern geblieben ist die Kärntner Landesregierung. Unter der FPK hatte Kärnten auch eine Verfassungsklage gegen die VDS eingereicht und ist damit genauso wie der AKVorrat vor den EuGH gekommen. Scheinbar ist es dem Land Kärnten unter der neuen SPÖ Regierung nicht einmal mehr Wert in dieser Sache vor dem europäischen Höchstgericht zu erscheinen. Das ist besonders bedauernswert, weil die FPÖ für diese Kärntner Klage damals im Frühjahr 2011 die Möglichkeit, sich früher an den Österreichischen Vfgh zu wenden verhindert hat. Es gab damals weit fortgeschrittene Gespräche des AKVorrat mit allen drei Oppositionsparteien über eine so genannte Drittelbeschwerde, um noch vor dem in Kraft treten der VDS zum Vfgh gehen zu können. Diese Möglichkeit hat die FPÖ aber in letzter Minute fallen gelassen, weil das Land Kärnten so eine Klage lieber alleine einreichen wollte. Wir glauben nicht, dass die Vorratsdatenspeicherung aus diesem Verfahren unbeschadet hervor gehen kann. Dafür sind zu viele kritische Fragen der Richter unbeantwortet geblieben. Der größte Erfolg für den AKVorrat wäre es die Richtlinie selbst zu Fall zu bringen und einer verdachtsunabhängigen Pauschalüberwachung in ganz Europa eine klare und dauerhafte Abfuhr zu erteilen. Ganz im Sinne des letzten Satzes im Plädoyer von AKVorrat Anwalt Ewald Scheucher: "Bitte entscheiden Sie heute für die Freiheit in Europa, die Sicherheit hat nämlich schon genug Fürsprecher." Ceterum censeo data-retentionem esse delendam!

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