Wie sich die EU selbst schwächt

Man vergisst gern auf die eigenen Ideale, konzentriert sich auf Unwichtiges und ignoriert Sorgen der Bürger.
Martina Salomon

Martina Salomon

Seit 45 Jahren gibt es eine vernünftige Regelung: Im Sommer stellen wir die Uhren so, dass der arbeitende Mensch länger die schönen hellen Abende genießen kann. Im Winter drehen wir auf „Normalzeit“, damit die Kinder nicht im Dunkeln in die Schule gehen müssen und die Frühschicht erträglicher wird. Womit der „von der Uhrzeit diktierte Tagesbeginn einigermaßen im Gleichklang mit unserer natürlichen Uhr – also dem Aufgehen der Sonne – geschaltet“ wurde, wie ein kluger Gastkommentator kürzlich im KURIER schrieb.

Weil aber 4,6 Millionen (davon drei Millionen Deutsche!) der 500 Millionen EU-Bürger in einer Online-Umfrage (ohne jede Kontrolle) für ein Ende der Zeitumstellung votierten, will die EU-Kommission diese nun bereits 2019 beenden.

Bei Unwichtigem waren Europas Verwalter schon immer wild entschlossen. Wichtigeres hingegen wird häufig auf die lange Bank geschoben. Wo sind zum Beispiel in der EU einheitliche Steckdosen oder Handy-Aufladekabel? Seit langem versprochen, nie umgesetzt. Und warum zerbrechen wir uns über eine (letztlich dann ohnehin nicht) einheitliche Zeit den Kopf, während es noch immer kein einheitliches Eisenbahnsystem in der EU gibt?

Auch das Ringen zwischen der EU und Großbritannien um den Brexit gibt zu denken. Die Europäische Union will an Großbritannien ein Exempel statuieren, um andere Austrittswillige vor den Folgen zu warnen. Daher kommt sie dem bisherigen Nettozahler nur ungern entgegen. Doch eine weiterhin enge, wirtschaftliche Zusammenarbeit nutzt nicht nur den oft als „Rosinenpicker“ verschrieenen Briten, sondern auch der restlichen EU.

Abgesehen davon erinnern wir uns nur zu gut, wie wenig ernst man in Brüssel ansonsten die eigenen Prinzipien nahm. So konnte sich Griechenland in den Euroraum schummeln, und die Maastricht-Kriterien zur Budgetdisziplin wurden selbst von Kernländern der EU sträflich umgangen. Bei der EU-Erweiterung wiederum war man bei der Auslegung der Aufnahmekriterien oft mehr als großzügig – in diesem Fall wenigstens aus begründeter geostrategischer Sicht. Und bei der Steuervermeidung machen EU-Kernländer wie Luxemburg (Amazon), Irland (Apple) oder auch die Niederlande den amerikanischen Großkonzernen die Mauer.

Die Europäische Union war und ist eine großartige Idee, die für Wohlstand und jahrzehntelangen Frieden sorgte: In einer globalisierten Welt zwischen China und den USA ist die EU unverzichtbar. Sakrosankt kann sie deshalb aber nicht sein. Denn in den letzten Jahren stand die EU-Politik zu oft für Überregulierung und überhebliche (auch moralisierende) Politik. Das eine schadet dem Unternehmertum, das andere züchtet Protestparteien, weil sich viele Bürgerinnen und Bürger – vor allem bei ihren Sorgen vor ungeregelter Zuwanderung – nicht mehr verstanden fühlten. Die kommende EU-Wahl wird daher die Kräfte im EU-Parlament verschieben, wahrscheinlich nach rechts. Aber statt die eigene Politik zu hinterfragen und Fehler einzuräumen, setzt die „europäische Elite“ auf Dämonisierung der – tatsächlich oft ziemlich abstrusen – Gegner und oft genug auf leeres Pathos. Das wirkt wenig erfolgversprechend.

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