Überprüfen Sie Ihre Vorurteile!

Vier Beispiele, warum man die Welt nicht durch die schwarz-weiße Brille betrachten sollte.
Martina Salomon

Martina Salomon

Man kann die Welt Schwarz-Weiß betrachten. Muss man aber nicht. Manch vordergründig völlig stimmiges Urteil bekommt nach einem Perspektivenwechsel Risse.

Beispiele gefällig? OECD-Studien trommeln seit Jahren unverändert, dass Österreich mehr Akademiker braucht. Schaut man aber die brandneue Statistik an, dann zeigt sich, dass die Arbeitslosigkeit überall stark sinkt, bei betroffenen Akademikern hingegen nur leicht. Die Digitalisierung frisst massenhaft unqualifizierte Jobs? Zumindest in diesen neuen Zahlen spiegelt sich das erstaunlicherweise gar nicht wider. Der Arbeitsmarkt für gering Qualifizierte zieht an.

Beispiel 2: Wer könnte das in der „Krone“ gesagt haben: „Es sollte auf EU-Ebene über die Notfallklausel zum Schutz des Arbeitsmarktes debattiert werden. Unter anderem darüber, die Personenfreizügigkeit zu befristen oder einzuschränken.“ Nein, das war nicht Heinz-Christian Strache, sondern 2016 der einflussreiche Arbeiterkammerdirektor und Kanzler-Faymann-Berater Werner Muhm. Sein Parteikollege, der damalige burgenländische Landeshauptmann Niessl, hat das übrigens „zu hundert Prozent“ unterstützt. Aufregung? Null. Als Vizekanzler Strache in der abgelaufenen Woche fast dasselbe sagte, war die Empörung groß. Dabei hatte er sogar versucht, das Ganze (schlau?) auch aus der Sicht der Zuwanderernationen zu betrachten und gemeint: „Wir müssen offen diskutieren, dass es auch nicht gut ist für die europäische Entwicklung, das gesamte intellektuelle, gut ausgebildete Potenzial Osteuropas für Westeuropa abzuziehen.“ Skandal? Ex-Vizekanzler und „Mitteleuropa-Versteher“ Erhard Busek hat übrigens fast dasselbe am 8. Mai dieses Jahres in einer Diskussionsveranstaltung der Erste-Group gesagt (allerdings ohne die Personenfreizügigkeit infrage zu stellen).

Schaut nach Lex Soros aus

Beispiel 3: Von welcher Regierung könnte dieses Gesetz stammen: Es betrifft „die Verstärkung des strafrechtlichen Rahmens für die Bekämpfung der Beihilfe zur unerlaubten Ein- und Durchreise und zum unerlaubten Aufenthalt“, und zwar nicht nur für Einzelpersonen, sondern auch für Organisationen. Also eine „ Lex Soros“ des ungarischen Präsidenten Viktor Orban?

Nein, das ist eine EU-Richtlinie aus dem Jahr 2002, die auf Initiative Frankreichs zustande kam und die Mitgliedsstaaten zu „wirksamen, abschreckenden Strafen“ verpflichtet. Orban (dessen Politik natürlich in vielerlei Hinsicht zu Recht Unbehagen auslöst) hat nun auf Grundlage dieses EU-Rechts ein Gesetz vorgelegt, das Helfer von illegalen Migranten mit 90 Tagen Arrest bedroht. Letztklassig?

Beispiel 4: Welcher US-Präsident hat die Europäer als „Trittbrettfahrer der internationalen Politik“ bezeichnet, „die in Krisenzeiten davor zurückscheuen, ihre Militärressourcen zur Verfügung zu stellen. Stattdessen ziehen sie uns in Konflikte hinein“? Der maligne Narziss Donald Trump? Nein, es war Barack Obama. Über die Kapriolen seines Nachfolgers rauft man sich nicht ohne Grund die Haare, doch inhaltlich führt Trump fort, was Obama begann: Konzentration aufs eigene Land – militärisch und wirtschaftlich.

Vorurteil, Urteil, Irrtum?? Schauen/Hören wir lieber genau hin, bevor wir dem jeweils opportunen Meinungstrend nachhoppeln.

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