Teure Rechnung

Teure Rechnung
Gib mir deine Daten, und du darfst zum Wirten, reisen und vielleicht sogar die Oma umarmen! Diese "neue Normalität" darf nicht normal werden.
Christoph Schwarz

Christoph Schwarz

Den medialen Zeremonienmeistern der Bundesregierung ist mit dem Sprachbild der neuen Normalität ein polit-rhetorisches Meisterstück gelungen. Es dauerte nur wenige Tage, bis die Wortschöpfung ihren eigenen Wikipedia-Eintrag erhielt. Die türkis-grünen Minister und allen voran der Kanzler nutzen sie seit Mitte April gut – und gerne. Der Mensch lernt eben durch Wiederholung.

Normalität, das klingt in Zeiten wie diesen verheißungsvoll. Es suggeriert die Rückkehr in eine Zeit vor Corona, vor Maskenpflicht und Sicherheitsabstand. Und das beigefügte Adjektiv neu? Wer wird da schon pingelig sein! (Normalität kann per se niemals neu sein, mögen Sprachwissenschafter einwenden. Ein Glück für die Regierenden, dass die Lobby für Linguisten in Krisenzeiten zumeist nicht so groß ist.)

Tatsächlich lässt sich die Bundesregierung das, was sie als neue Normalität bezeichnet, teuer abkaufen. Vater Staat tritt dieser Tage im konservativsten aller Wortsinne zutage: als strenges Oberhaupt, das gibt, wenn alle folgsam sind – und nimmt, wenn sie es nicht sind. Die Tendenzen sind unverkennbar.

Das Gespenst einer verpflichtenden Tracing-App, die die Bewegungsmuster und Sozialkontakte der Österreicher speichert, huscht regelmäßig durch die Debatten. (Die Rückzieher folgen auf dem Fuß, sobald Kritik laut wird. Und doch verschieben sich die Grenzen des Denk- und Sagbaren mit jedem neuen Vorstoß.)

Auch mit einem Immunitätsausweis wird nicht nur im Ausland geliebäugelt. Er ist eine Art Pass, der die Bevölkerung in zwei Klassen teilt. In die Gesundeten auf der einen Seite, denen man Bewegungsfreiheit zugesteht – und in die potenziell Gefährlichen (und Gefährdeten) auf der anderen Seite. Divide et impera.

Selbst der Lieblingswirt kann zum Kontrollor werden: Die Schweiz verpflichtet bereits Gastronomen, die Daten ihrer Gäste – Name, Telefonnummer, Dauer des Besuchs – zu sammeln. Vierzehn Tage werden diese gespeichert und im Falle des (Krankheits-)Falles an die Behörden weitergeleitet. Auch in Italien werden derartige Modelle erprobt. Das kann für Österreich als Modell dienen, wenn am 15. Mai die Gastronomie hochfährt. Die Regierung hat(te) offenbar derartige Pläne.

Gib mir deine Daten, und du darfst zum Wirten, reisen und – vielleicht – sogar die Oma umarmen! Eine verängstigte, verunsicherte Bevölkerung ist anfällig für derartige Versuchungen. Die Hälfte aller Jungen in Europa ist einer Bertelsmann-Studie zufolge der Meinung, dass autoritäre Staaten in Krisen erfolgreicher seien als Demokratien.

Das ist die neue Wirklichkeit. So manche Maßnahmen werden nötig sein. Aber normal sind sie in einer liberalen Demokratie nicht. Und das sollen sie auch nicht werden.

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