Tartarottis Weihnachtsgeschichte

Achtung: Folgende Geschichte ist Satire. Sie entspricht also nicht der Wahrheit. Aber nur beinahe nicht.
Guido Tartarotti

Guido Tartarotti

Der Mann meiner Exfrau trinkt währenddessen sein siebentes Bier und schweigt.

von Guido Tartarotti

erzählt seine ganz persönliche Weihnachtsgeschichte

Vor einigen Jahren hörte ich an einem Punschstand in der Vorweihnachtszeit zufällig mit, wie zwei sehr junge Männer über einen gemeinsamen Bekannten sprachen.

Junger Mann A: „Stell dir vor, an seinem 18. Geburtstag ist sein Vater mit ihm Bier trinken gegangen. Und Spare-Ribs essen. Und ins Puff.“

Kurzes Schweigen.

Darauf junger Mann B: „Ich weiß nicht. Ich mag ja keine Spare-Ribs.“

Darauf wieder junger Mann A: „Aber immerhin ist es schön, wenn die Familie zusammenhält.“

Ich mag die Familie. Als Idee.

Das ist jetzt nicht unbedingt die Art von Geschichte, die man zu Weihnachten, unter dem Tannenbaum, mit verteilten Rollen lesen sollte. Aber ich musste den beiden jungen Männern in Gedanken zustimmen: Ich finde es auch schön, wenn die Familie zusammenhält. Und ich mag ebenfalls keine Spare-Ribs.

Ich mag die Familie. Als Idee. Als Gemeinschaft von Menschen, die einen Namen und einen Wohnsitz und die gleichen Verhaltensoriginalitäten teilen. Ich fürchte jedoch die Familie in jener Erscheinungsform, in der sie besonders oft in freier Wildbahn anzutreffen ist: In Form der Familienfeier. Erstens habe ich Angst vor größeren Menschenansammlungen in einem Raum, wobei ich „größer“ als „mehr als einer“ definieren würde. Zweitens tue ich mir so schwer, korrekt auf jene Fragen zu antworten, die gerne von lieben, aber oft schon ein wenig desorientierten Tanten jenseits der 90 auf Familienfeiern an mich gerichtet werden:

„Und? Fürchtest dich schon vor der Matura?“ – Ja, vor der meines Sohnes.

Tartarottis Weihnachtsgeschichte
epa03987809 A Santa Claus throws a Christmas tree to a ship in the port of Hamburg, Germany, 12 December 2013. Every year, Christmas trees are given to the crews of ships in the port of Hamburg.  EPA/ANGELIKA WARMUTH

„Möchtest du nicht auch einmal Kinder in die Welt setzen?“ – Solche Fragen sind bitte an meinen Sohn und meine Tochter zu richten.

„Jetzt bist du schon so lange mit der Verena zusammen, jetzt wird es schon einmal Zeit fürs Heiraten.“ – Nein, seit dem Jahre 1974, als der Kindergarten aus war, nicht mehr. Und das mit dem Heiraten könnte rechtliche Probleme nach sich ziehen, Verena ist nämlich seit 23 Jahren mit einem sehr guten Rechtsanwalt verheiratet.

Und dann noch meine absolute Lieblingsfrage:

„Scheibst du immer noch für die Krone?“ Gerne hinterher geschlagener Nachsatz: „Die Krone ist ja meine Lieblingszeitung, den Kurier les ich nie, wegen dem unpraktischen Format. Den kann man am Klo nicht gscheit halten.“

Familienfeiern umfahre ich großräumig. Also, wenn ich von Mödling nach Maria Enzersdorf zu einem Familienfest fahre, nehme ich die Bundesstraße über New York und komme um zwei Wochen zu spät, worauf dann niemand mehr beim Familienfest anwesend ist, außer Onkel Franz, der die Bier-Hanseln austrinkt.

Das erste Problem dieses Abends ist die Hundefrage

Die einzige Ausnahme ist unsere traditionelle Patchwork-Familien-Weihnachtsfeier. Sie findet jedes Jahr im Haus des Mannes meiner Exfrau statt. Anwesend sind: Meine Exfrau, ihr Mann, ich. Unsere gemeinsamen zwei Kinder. (Der Mann meiner Exfrau, den ich länger kenne als meine Exfrau, stellt mich, wenn wir zusammen etwas trinken gehen, seinen Freunden gerne so vor: Das ist der Guido, der Vater meiner Kinder.) Weiters anwesend sind: Die Eltern meiner Exfrau, also meine Exschwiegermutter und mein Exschwiegervater, die Schwester meiner Exfrau, also meine Exschwägerin, deren Mann (keine Ahnung, was für ein Ex der zu mir ist) und deren Kind, das noch nicht sprechen kann, weswegen sich die Frage erübrigt, mit welchem Titel ich es anreden soll. Außerdem anwesend sind: Meine Mutter und meine Schwester. Optional anwesend sind: Meine Freundin, abhängig von ihrer Tagesverfassung und der daraus resultierenden Bereitschaft, sich diesen Irrsinn anzutun. Einer der beiden Dauerexfreunde meiner Schwester, und zwar jeweils derjenige, der gerade kein Ex vor dem Namen trägt. Diverse Nachbarn und Polizisten, die vom Lärm angelockt, nachschauen wollen, ob hier Vorgänge vorgehen, die zu Sach- bis Personenschäden führen oder sonst wie von allgemeinem Unterhaltungswert sind. Theoretisch anwesend ist mein Vater, der wiederum von meiner Mutter geschieden ist, und jedes Jahr behauptet, die Schneelage lasse eine Anreise zum Weihnachtsfest unverantwortlich erscheinen, und zwar selbst dann, wenn es, wie meistens zu Weihnachten, 16 Grad plus hat.

Tartarottis Weihnachtsgeschichte
epa00884195 Dog Queenie looks around in the VIP dog boutique in Amsterdam, Wednesday 13 December 2006. With christmas approaching, besides houses and streets, dogs can now also be decorated. EPA/Evert Elzinga

Das erste, wenn auch nicht das einzige Problem dieses Abends ist die Hundefrage. Meine Exschwiegermutter hat nämlich panische Angst vor Hunden. Wobei sie auch Chihuahuas, Meerschweinchen und Hansi Hinterseers Moonboots zur Gattung der Hunde rechnet. Nun besitzen aber folgende Familienmitglieder Hunde: Meine Exfrau, ihre Schwester, meine Schwester, unsere Mutter, meine Freundin und ich.

Nun haben wir uns alle, das Schwiegermutterweihnachtsproblem bedenkend, bewusst sehr kleine Hunde ausgesucht. Mein Hund etwa ist so klein, dass ihn meine kurzsichtige Schwiegermutter ohne Brille gar nicht sehen kann. Wir müssen ihr also nur zu Beginn des Festes die Brillen verstecken. Den Hund meiner Exfrau akzeptiert meine Exschwiegermutter, sie hat beschlossen, den Hund nicht als Hund anzusehen, sondern als Einrichtungsgegenstand mit Stoffwechsel, aus dem es halt manchmal ein wenig heraussabbert. Die Hunde meiner Exschwägerin, die knapp über Hühnergröße hinausragen, werden, da es sich bei ihnen um gefährliche Raubtiere handelt, in den Garten gesperrt.

Voriges Jahr lief das Patchworkfamilienweihnachtsfest so ab.

20 Minuten vor dem vereinbarten Termin erschienen alle Eingeladenen gleichzeitig, sich bei meiner Exfrau für die Verfrühung entschuldigend. Da sich alle gleichzeitig entschuldigten, mussten sie enorm brüllen, wodurch ein gewaltiger Lärm entstand, weshalb Augenblicke später Nachbarn und Polizisten in der Tür standen und anfragten, ob wir nicht mit der Vorstellung noch ein paar Stunden warten könnten, sie seien noch nicht soweit.

Meine Ex-Schwiegermutter brüllt „Um Gottes Willen, so ein Großer!“

Unter gebrüllten Beteuerungen, ihnen sei schon klar, dass meine Exfrau sich das Mitbringen von Nahrungsmitteln verbeten habe, aber es handle sich doch bitte nur um winzige Kleinigkeiten, wird meine Exfrau von den Gästen unter einem Berg von Schnitzeln, Knödeln, Schinkenrollen, kalten Schweinsbraten, teils gebackenem, teils ungebackenem, teils noch lebendem Geflügel, Räucherfisch, Gemüse, Käse, Weihnachtsgebäck sowie den Resten der Torte vom 90. Geburtstag der Anni-Tant im Jahr 2008 begraben. Noch während dieses Vorgangs beginnen meine Ex-Schwiegermutter („Probiert’s die Schnitzeln, ich hab extra viel Schmalz genommen“) und meine Mutter („Ich würd euch ja eher den veganen Bulgurauflauf empfehlen, salzlos, nach Ayurveda-Rezept, von tibetanischen Mönchen gesegnet“) Werbung für die jeweiligen Produkte ihrer Küche zu machen und, darüber in Streit geratend, einander mit Räucherfisch zu bewerfen.

Der Mann meiner Exfrau trinkt währenddessen das dritte Bier und schweigt.

Meine Schwester betritt den Raum, sie hat einen neuen Hund, einen Zwergpudel. Meine Ex-Schwiegermutter brüllt „Um Gottes Willen, so ein Großer!“ und flüchtet unter das Wohnzimmerfauteuil, was von meinem Ex-Schwiegervater mit mühsam unterdrücktem Vergnügen betrachtet wird. Meine Schwester ist in Tränen aufgelöst, weil es mit beiden Ex-Freunden jetzt wirklich endgültig aus ist. Sie nimmt einen großen Schluck Wodka, fällt, da sie keinen Alkohol verträgt, in Ohnmacht und wird von uns mit der angebrachten Vorsicht auf dem Sofa endgelagert, unter dem meine Ex-Schwiegermutter ihr Versteck gefunden hat. Ihr Hund freundet sich währenddessen mit dem sabbernden Einrichtungsgegenstand an und die Hunde beginnen, den drei Meter hohen Weihnachtsbaum – an dessen möglichst senkrechter und zimmerzentraler Ausrichtung der Mann meiner Ex-Frau, ein Architekt, zwölf Tage lang gearbeitet hat, kahl zu fressen.

Der Mann meiner Exfrau trinkt währenddessen sein fünftes Bier und schweigt.

Mein Ex-Schwiegervater, pensionierter Lehrer, ÖVP-nah, und meine Mutter, pensionierte Lehrerin, Grün-nah, geraten wie jedes Jahr in einen wüsten Streit darüber, on man „Mohr im Hemd“ sagen dürfe und einigen sich wie jedes Jahr darauf, dass die Lehrer, ob im Hemd oder nicht, auf jeden Fall die Ärmsten im Land seien, wegen des Klimawandels seien die Ferien ja kaum noch auszuhalten.

Die Bescherung beginnt, wie immer, mit dem Absingen von „Stille Nacht“. Wie immer verständigt man sich darauf, das Lied eher langsam und getragen zu singen, nur meine Ex-Schwiegermutter protestiert, weil ihr langsame und getragene Lieder fast so viel Angst machen wie Hunde. Wir beginnen zu singen, und als wir bei „einsam wacht“ angekommen sind, tönt unter dem Sofa bereits „in himmlischer Ruhuh“ hervor, wobei die anwesenden Hunde das „uhu!“ laut jaulend mittragen.

Der Mann meiner Exfrau trinkt währenddessen sein siebentes Bier und schweigt.

Tartarottis Weihnachtsgeschichte
APA6094794-2 - 05122011 - WIEN - ÖSTERREICH: ZU APA-TEXT CI - Archivbild einer Christbaum-Brand-Präsentation. Trotz aller Warnungen stehen jedes Jahr einige Christbaeume aufgrund mangelnder Vorsicht in Flammen. Derartige Brände entstehen vor allem am Ende der Weihnachtszeit wenn die Nadeln der Bäume bereits trocken sind. APA-FOTO: HANS KLAUS TECHT

Während die Kinder ihre Geschenke auspacken und sie einander sofort auf den Schädl hauen, erzählt der Freund meiner Exschwägerin Witze, in denen ein Burgenländer von seiner Frau mit dem Schnitzelklopfer verdroschen wird, was mein Ex-Schwiegervater, ein überzeugter Burgenländer, mit eisigem Schweigen quittiert. Unter dem Sofa jedoch kichert es leise hervor.

Der Mann meiner Exfrau trinkt währenddessen sein achtes Bier und schweigt.

Meine Ex-Schwiegermutter kommt unter dem Sofa hervor und schenkt ihren Töchtern neue Gesundheitshausschuhe. Beide zeigen keine Begeisterung, worauf meine Ex-Schwiegermutter in Tränen ausbricht und, da mehrere Hunde Anstalten machen, sie zu trösten, wieder unter dem Sofa verschwindet. In diesem Augenblick reißt mein Sohn meiner Tochter die Steuerung für den neuen Modelhubschrauber aus der Hand, der Hubschrauber stürzt ab und zwar auf das Hinterteil des Zwergpudels, der, darüber zurecht empört, versteckt sich unter der Couch, gerät dort in Konflikt mit meiner Ex-Schwiegermutter, worauf die Couch umstürzt, welche den drei Meter hohen Weihnachtsbaum mitreißt, der genau zwischen Schnitzeln zu liegen kommt. Meine Schwester, die – Sie erinnern sich? – bewusstlos auf der Couch lag, landet auf dem Fußboden, und zwar mit dem Gesicht im Bulgurauflauf, der, fragen Sie mich nicht warum, inzwischen dort sein Endlager gefunden hat, und ruft, noch schwer im Dusel, durch den Bulgur hindurch: „Achtung, Regionalzug nach Wien-Liesing fährt auf Bahnsteig 3 ein!“

Von da an wurde es doch ein ganz netter Abend

In diesem Moment läutete es an der Tür, und ich öffnete. Draußen standen: Die Nachbarn, die Polizisten, die Hunde meiner Ex-Schwägerin, die sich aus dem Garten nach draußen gegraben hatten, die beiden Ex-Freunde meiner Schwester, meine Freundin und mein Vater, eine Schnapsflasche in der Hand, der freudig krähte: „Heuer hab ich mir Mut angetrunken vorm Herfahren!“

Von da an wurde es doch ein ganz netter Abend. Mein Vater trank Schnaps mit den Polizisten, meine streng vegan lebende Mutter aß alle Schnitzel auf, der Baum wurde wieder aufgerichtet und von den Kindern mit Bulgurauflauf verziert, die Hunde fraßen die Gesundheitshausschuhe und zeugten miteinander neun Zwergpudel-Moonboot-Mischlinge, die Ex-Freunde meiner Schwester beschlossen gemeinsam, dass Frauen blöd seien und verliebten sich spontan ineinander, meine Freundin sagte, jö, da sitzt ja ein Hund unter dem Sofa!, und begann, meine unter der Couch sitzende Ex-Schwiegermutter mit Hundekeks zu füttern, und mein Ex-Schwiegervater, der Mann meiner Ex-Schwägerin und meine Schwester spielten mit der leeren Wodkaflasche Flaschendrehen.

Und die Nachbarn filmten alles mit und stellten die Videos auf youtube.

Irgendwann, als der Morgen schon graute, nach seinem 15. Bier, sprach der Mann meiner Frau, also der Hausherr, sein erstes Wort bei diesem Weihnachtsfest. Es lautete: „Raus.“

Also gingen wir alle, nur die Ex-Schwiegermutter nicht, die blieb, gemeinsam mit dem Pudel, unter dem Sofa, wo sie auch heute noch lebt.

Beim Hinausgehen sagte meine Ex-Schwägerin zu mir: „Sag, schreibst du immer noch bei der Krone?“

Und ich antwortete: Nein, ich mag auch keine Spare-Ribs.

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