Stopp für Straßenbau: Wenn die Ministerin in die Trickkiste greift

Der frühere Dekan des Wiener Juridicums, der Verfassungsjurist Heinz Mayer, hat etwas getan, was hierzulande leider viel zu selten vorkommt: Mayer hat es abgelehnt, ein Gefälligkeitsgutachten zu erstellen. Mehr noch: Er hat die Annahme eines ministeriellen Auftrags verweigert, weil damit für ihn ein Maulkorb verbunden gewesen wäre. Die Fachmeinung des exzellenten Juristen zu einer wichtigen Rechtsfrage hätte der Öffentlichkeit verborgen bleiben sollen.
Mayer hat den Vorfall selbst publik gemacht. Demnach ging der unsittliche Antrag an den Professor vom grün-geführten Infrastrukturministerium aus. Zweck der Übung war offensichtlich, Ministerin Leonore Gewessler einen wortgewaltigen und fachlich versierten Kritiker vom Hals zu schaffen.
Das lässt Rückschlüsse zu. Leonore Gewessler weiß offenbar, dass sie sich im Streit um die Fertigstellung von Straßenbauten auf juristisch dünnem Eis bewegt, denn sonst müsste sie sich nicht vor Mayer fürchten. Der Vorfall kommt einem Eingeständnis gleich, dass der von ihr verhängte Baustopp für genehmigte und weit gediehene Straßenprojekte eine parteipolitisch motivierte Aktion ist. Der Zweck liegt auf der Hand: Grüne Stammklientel soll über Frustrationen in der Koalition mit der ÖVP hinweggetröstet werden. Ebenfalls ist die Frage berechtigt, ob Gewessler diesen drastischen Schritt auch dann getan hätte, wenn die Grünen noch Teil der Wiener Stadtregierung wären. Der Einspruch gegen den Lobautunnel ist wohl auch Oppositionsaktionismus gegen Rot-Pink geschuldet.
Man wird weiter Straßen brauchen
Jedenfalls liegt der Verdacht nahe, dass es hier nicht nur um Klimaschutz geht. Ein Straßenring rund um die Großstadt Wien würde die Bewohner von Durchzugsverkehr entlasten und könnte die Einführung einer Citymaut erleichtern, damit so wenige Autos wie möglich in die Stadt hineinfahren. Zweitens wird man auch künftig Straßen brauchen, darauf werden halt – zum Schutz des Klimas – Fahrzeuge mit alternativer Antriebstechnik verkehren.
Kein Respekt vor Experten
Abgesehen von der Sache stellt sich hier auch die Stilfrage. Dass die ÖVP wissenschaftliche Studien und Meinungsforschungsergebnisse nach parteipolitischem Gutdünken hinbiegt, ist bestürzend genug, aber offenbar sind auch die Grünen vor dem Griff in die Trickkiste nicht gefeit.
Wann kommt endlich das Informationsfreiheitsgesetz? Dann müssten nämlich Studien, die mit Steuergeld bezahlt werden, veröffentlicht werden. An Geheimgutachten mit Maulkorberlass wäre dann gar nicht zu denken. Auch Partei-Umfragen auf Ministeriumskosten („Welches Tier wäre Sebastian Kurz?“) würden erschwert.
Es ist schon klar: In einer idealen Welt würde die Politik von sich aus Experten mit Respekt begegnen. Aber offenbar brauchen wir ein Gesetz, das diesen Respekt ertrotzt.

Daniela Kittner
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