Das eigentliche Geschäftsmodell ist ein anderes – zu Geld gemacht wird auf Twitter, Facebook, Telegram und den anderen schlicht eines: Zorn. Das kann kleiner Zorn über die verspätete Straßenbahn oder großer Zorn über die gefühlte Corona-Lüge oder Weltverschwörung sein; das kann auch allgemeiner Zorn auf den jeweils anderen sein. Die sozialen Medien sind keine Echokammer, wie gern geschrieben wird, sondern eine negative Echokammer: Es schallt aus ihnen immer das Gegenteil von dem heraus, was man hineinruft. Die Linken fühlen sich dort einem rechten Mob ausgesetzt, die Rechten einem linken Mob, und beide Seiten fühlen sich sauwohl darin, hier mit jeweils Gleichgesinnten dagegenzuhalten.
Und viel zu viele Menschen verfangen sich im wohligen Hormonkick, den das kleine Lüstchen am Online-Mob ebenso ausstößt wie die Bequemlichkeit, das Hirn beim Einloggen an der Garderobe abgeben zu können: Auf den sozialen Medien wird jeder dort belohnt, wo die Gesellschaft sonst den Daumen runterdreht, im Aberglauben, im Affekt, im Selbstgerechten und im Vorurteil. All das, von dem man Kinder mit Liebe wegzuleiten versucht, ist hier Erwachsenen wieder erlaubt – und wird sogar mit Followern und Likes vergütet. Dieser Versuchung erliegen auch die im echten Leben freundlichsten Menschen.
Dass das alles auch ein Überwachungsirrsinn ist – TikTok etwa hat den Standort zweier kritischer Journalisten über die App verfolgt –, ist fast schon selbstverständlich.
2022 hat bekräftigt, was eh schon bekannt ist: Die sozialen Medien sind eine Sucht, die nicht den Einzelnen, sondern die Gesellschaft ruiniert. Sie sind fruchtbarer Acker für Populisten aller Farben, sie vergiften die Meinungen, sie bestärken jene, die geächtet gehören. Natürlich haben sie auch Stärken, die Gesamtbilanz fällt aber verheerend aus. Höchste Zeit für einen Entzug, bevor diese Sucht ihr Opfer fordert – die Demokratie so, wie wir sie kannten.
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