So machen es leider nicht alle

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Gerade in der pandemiebedingten Reduktion des österreichischen Weltfestivals tritt vielleicht dessen ursprüngliche Idee just im Jubiläumsjahr wieder deutlicher hervor.
Rudolf Mitlöhner

Rudolf Mitlöhner

Die beiden Opern des diesjährigen Salzburger Festspielsommers könnten gegensätzlicher nicht sein: die archaisch-wuchtige „Elektra“ und die feinsinnig-verspielte „Così fan tutte“. Beide loten freilich auf je ihre Art Abgründe des Menschen aus. Und beiden kann man auch durchaus Zeitdiagnostisches abgewinnen. Gerade in der pandemiebedingten Reduktion des österreichischen Weltfestivals tritt vielleicht dessen ursprüngliche Idee just im Jubiläumsjahr wieder deutlicher hervor.

Um „Rache ohne Erlösung“ (so der Titel eines Buches zur „Elektra“-Verfilmung von Götz Friedrich) geht es in dem gewaltigen Einakter von Strauss/Hofmannsthal. Um eine obsessive Getriebenheit, die letztlich ins Nichts mündet. „Wer glücklich ist wie wir, dem ziemt nur eins: schweigen und tanzen!“ sind Elektras letzte Worte, bevor sie tot zusammenbricht. Die gleißend-scharfen C-Dur-Klänge leuchten gleichsam die existenzielle Leere schmerzhaft aus. Gleichzeitig ist diese Elektra eine, die unbeirrbar ihren Weg geht, sich mit nichts und niemandem arrangiert.  Sie bleibt sie selbst, indem sie sich aufgibt. Dieses „Schweigen und Tanzen“ lässt sich auch als Beschreibung des modernen Menschen lesen – die Sehnsucht nach positiven Gegenerzählungen, nach einer anderen Art von „Glück“ als jenem Elektras, ist groß.

Fragil ist das Glück auch, freilich in ganz anderer Weise bei Mozart/Da Ponte. Deren Verwirrspiel um Liebe, Treue, Verlässlichkeit ist ein lebensweiser Blick in die verschlungenen Gefühlswelten des Menschen: „So machen es alle“ – freilich letztlich auch die Männer, nicht nur, wie der italienische Titel („tutte“) suggeriert, die Frauen.

Es ist kein, wie gelegentlich behauptet, zynisches Spiel, sondern ein liebvoll-augenzwinkerndes – und in seinem menschenfreundlichen Realismus durch und durch befreiendes. Erst das Wissen um die Gefährdetheit dessen, was uns wichtig ist, erhalten die Dinge ihre Bedeutung.

Die Schlusssentenz der Oper preist jene, die alles „von der guten Seite nehmen“, sich „von der Vernunft leiten lassen“ und „in den Stürmen des Lebens“ nicht unterkriegen lassen (in Da Pontes Original klingt das deutlich besser als in den deutschen Übersetzungen). Diese – keinesfalls unernsthafte – Leichtigkeit möchte man nicht nur der Atridentochter Elektra wünschen, sondern auch den Protagonisten aus Politik und Medien unserer Tage.

Wie schwierig ist es doch vielfach, sich „von der Vernunft leiten zu lassen“ – zwischen Verschwörungstheoretikern und Verharmlosern, zwischen Moralisten und Zynikern sich einen klaren Blick und auch noch Humor zu bewahren (das gilt auch, aber keineswegs nur, in Sachen Corona). Das machen leider bei Weitem nicht alle.

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