Die EU versucht zu retten, was nicht mehr zu retten ist. Weil der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan – wieder einmal – die Muskeln spielen lässt. Mit aller Menschenverachtung, derer er fähig ist: Tausende Flüchtlinge an die Grenze zu karren mit dem trügerischen Versprechen, dass die Tore nach Europa offen sind, wohl wissend, dass Europa diese Tore anders als vor fünf Jahren ("Wir schaffen das") dicht halten wird, ist an Zynismus nicht zu überbieten.
Erdoğan hat sich vergaloppiert. Wirtschaftlich und politisch im Inneren, und außenpolitisch erst recht. Sein Kampf gegen die Kurden, sein Krieg gegen die Assad-Truppen, sein neuerlicher Konflikt mit Russland – alles hausgemacht. Davon versucht er, getrieben von Allmachts-Allüren, abzulenken, indem er die EU (und wohl auch die NATO) erpresst: Unterstützung, sonst schicke ich euch Millionen Flüchtlinge.
Dass die Türkei in vielen Bereichen ein Unrechtsstaat ist, zeigt sich nicht nur daran, dass zwei KURIER-Reporter stundenlang von Soldaten festgehalten wurden – ohne Botschafts- oder Anwaltkontakt.
Womit Erdoğan aber recht hat: Eine "gerechte Aufteilung der Last und der Verantwortung gegenüber Migranten" zwischen der EU und der Türkei, die gibt es nicht. In der Türkei sitzen 3,5 Millionen syrische Flüchtlinge, weitere Migranten-Millionen kommen hinzu. Europa hat 1,87 Millionen registrierte Ankünfte seit 2015 zu verzeichnen (und Österreich hat neben Deutschland zu Beginn die meisten Flüchtlinge geschultert). Aber wie ein neuer Ansturm zu bewältigen wäre, was – abseits von Grenzschließungen – unternommen werden kann/muss, außer der Türkei Geld zu zahlen, dass sie "ihre" Flüchtlinge behält, dazu ist den Europäern wenig eingefallen. Augen zu und hoffen, dass nichts passiert, war die Devise, gespickt mit ein paar naiven Ideen wie der jüngsten in Österreich, Frauen und Kinder (Migranten/Flüchtlinge?) aus humanitären Gründen nach Europa zu lassen – ein Willkomm´ an alle, die sich daraufhin erst auf den Weg machen würden!
Dass Erdoğan in dieser einen Frage also recht hat, legitimiert nicht seinen Furor im eigenen Versagen. Dass sich Europa von so einem Schmalspur-Pascha vorführen lassen, um nicht zu sagen: vor ihm schämen muss, sollte in den Hauptstädten, die gemeinsam in Sachen Flüchtlings- und Migrationspolitik versagt haben, zu denken geben.
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