Ringen um Aufklärung und Antifaschismus

Die Debatten bleiben ewig gleich, obwohl sich Österreich fundamental gewandelt hat.
Martina Salomon

Martina Salomon

Es ist das beliebteste Argument, um die Sorge vor einer Wandlung unseres Landes durch Migration kleinzureden: Die Deutschen seien die größte Einwanderungsgruppe. Stimmt und wir lieben und brauchen sie, auch wenn die deutschen Numerus-clausus-Flüchtlinge Platzmangel an unseren Unis erzeugt haben. Die Deutschen – zumindest jene der älteren Generation – haben wohl auch Verständnis für unsere politischen Lieblingsthemen: für unser unendliches (aber manchmal nicht immer aufrichtiges) Ringen um Aufklärung und Antifaschismus.

Die Mai-Gedenktage haben gezeigt, wie schwer eine differenzierte Betrachtung ist, selbst für einen so großartigen Schriftsteller wie Michael Köhlmeier, der die Regierung geistig in die Nähe des verbrecherischen NS-Regimes rückte. Arik Brauer führte die feinere Klinge. Schon vor seiner Rede am 8. Mai hatte er in einem KURIER-Gespräch Wichtiges gesagt: „Für mich ist die muslimische Einwanderung schuld daran, dass die FPÖ zu einer Massenpartei werden konnte und in der Regierung sitzt. Die Rechten haben von Anfang an begriffen, dass die muslimische Migration ein Pferd ist, auf dem man vorwärts reiten kann. Sie haben aber nicht begriffen, wie man die Probleme wirklich löst, weil es ihnen ja nur um die Macht gegangen ist.“

Schatten der NS-Vergangenheit

Für Wiener Stadtverantwortliche galt die Sorge wegen zu starker Migration bis vor Kurzem als Rassismus. Manchmal konnte man sich sogar des Eindrucks nicht erwehren, dass die Bundeshauptstadt Menschen bewusst angezogen hat, die wenig Chancen in einer hoch qualifizierten Arbeitswelt haben. Selbst wenn man den „Großstadteffekt“ mit einkalkuliert (Migranten ziehen gern in große Städte, weil sie dort Landsleute und Jobs zu finden hoffen), ist der Anteil an Bürgern mit Migrationshintergrund mittlerweile extrem hoch. Jeder zweite Wiener Schüler hat nicht Deutsch als Umgangssprache, in den Neuen Mittelschulen sind es 73 Prozent. Das kann kein Schulsystem der Welt ausgleichen. Es ist zu hoffen, dass der künftige Wiener Bürgermeister einen neuen Kurs fährt. Aber auch er kann nicht mehr ändern, dass Wien (und Österreich) binnen ganz kurzer Zeit eine andere Gesellschaft hat. Welche politischen Diskussionen, Kandidaten und Ideen kommen bei ihr an?

Es bleibt wichtig, an die aus heutiger Sicht unbegreiflichen Geschehnisse des Dritten Reichs zu erinnern. Aber übersehen wir darüber nicht die neuen Probleme. Brauer appellierte im KURIER zu Recht, „dass wir den mühsam errungenen Humanismus in Europa nicht aufs Spiel setzen dürfen“. Vielleicht verstehen uns in all diesen Debatten nur die Deutschen wirklich: Denn die NS-Vergangenheit überschattet hie wie dort Begriffe wie Heimat und Familie, das berechtigte „Nie wieder“ hat zu große Toleranz gegenüber den Intoleranten erzeugt. Und man packt viel zu schnell die Faschismuskeule aus. Das ist nicht mutig, dafür gibt es immer Applaus. Es ist Zeit für Zwischentöne. Danke, Arik Brauer, dafür.

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