Rettung oder Hysterie

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In Corona-Zeiten wähnen sich alle im Besitz der absoluten Wahrheit – schwarz oder weiß. Spannend, wo wir doch alle so wenig wissen.
Andreas Schwarz

Andreas Schwarz

Sind wir über den Berg? War der Berg am Ende gar nicht so hoch wie angenommen? Oder müssen wir auf dem Weg ins Tal, wo die Freiheit blüht, bremsen, damit nicht ein noch höherer Berg droht? Wissen wir alles über das arge Virus oder kommt noch Böses? Braucht es im Umgang mit ihm eine gesunde (?) Portion Angst oder viele Portionen Zuversicht?

Am Ende der achten Corona-Woche überwiegt Erleichterung: Die Zahlen sind gut, man zählt keine 1.500 aktuell Erkrankten, kaum 0,02 Prozent der Österreicher. Das Land macht langsam wieder auf, so wie viele andere auch, ja selbst in Italien, Großbritannien, den USA wird "hochgefahren".

Die Menschen kommen aus ihrer Isolation, nicht nur, um bei McDonald’s oder Ikea Schlange zu stehen. Sie wollen die "neue Normalität" schnuppern, von der viele hoffen, dass es bald wieder die alte sein möge. Bis dahin wird überall, wo Corona Thema ist (also überall), über die Eingangsfragen disputiert, argumentiert, gestritten – auf Social Media und am Telefon, bei Familientreffen und beim Arzt, in Leserbriefen und in politischen Debatten. Und alle haben die eine Wahrheit, schwarz oder weiß, dazwischen gibt es nichts:

Weiß: Nur mit den rigiden Maßnahmen haben wir Corona überlebt, dem Kanzler und der toughen Frau Mei-Pochtler sei Dank (das ist die, die mit den notwendigen Tools "am Rand des demokratischen Modells" so "missverstanden" wurde). Das Virus ist die Pest, dagegen hilft nur Zwang.

Schwarz: Überstanden ist’s – und wozu war das Drohungs- und Beschränkungslarifari notwendig? Seht die Schweden, geht auch ohne. Alles übertrieben. Dafür sind das Leben, die Wirtschaft, unsere Freiheitsrechte geopfert auf dem Altar der Hysterie und der Wählermaximierung.

Beide "Wahrheiten" sind kühn – in Zeiten, da sich Expertisen laufend ändern, Sachlagen überholen, da selbst Epidemiologen, Virologen, Statistiker zwar alles haben, von Kompetenz bis zu Daten, von Beobachtung bis zu Schlüssen, nur die eine Antwort nicht (wenngleich auch dort mitunter das Virus der Rechthaberei um sich greift).

Wohltuend sind da Worte wie die des deutschen Gesundheitsministers Jens Spahn: "Wir werden in ein paar Monaten wahrscheinlich viel einander verzeihen müssen." Ein Politiker, der mögliche und zu erwartende Irrtümer eingesteht, präventiv dafür um Verzeihung bittet, das ist mutig.

Können also alle bitte aufhören so zu tun, als hätten sie die Wahrheit gepachtet? Mit ihr herumzuwerfen, als wäre sie ihr intellektuelles Eigentum – sie ist nicht einmal geborgt. Weil bei so viel plusternder Meinung bleibt gar kein Platz für Wissen. Man kann ja eine haben, aber muss man sie als absolute Wahrheit verkaufen, wer sie nicht teilt, ist ein Idiot? "Ich weiß, dass ich nichts weiß", und das auch mal sagen – das wäre eine der Corona-Zeit angemessene Sokrates’sche Tugend.

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