Rausch und Medizin

Schweizerhaus
Psychopharmaka und Suchtmittel sind zwei völlig unterschiedliche Dinge. Beide verdienen aber eine nähere Betrachtung.
Philipp Wilhelmer

Philipp Wilhelmer

Als Pompeji unterging, vergrub der Vesuv auch eine ansehnliche Bronzestatue des Weingottes Bacchus. Ein stummer Zeuge des Umstandes, dass schon die Römer ihren Rausch genossen. Bacchus wurde auch in den Jahrhunderten danach von den Größen der Kunstgeschichte bearbeitet: Michelangelo, Caravaggio, Rubens, Tizian … Sie alle hatten eine Darstellung dieses antiken Schutzpatrons der Besoffenen im Repertoire. Asklepius, dem Gott der Heilkunst, wurde diese flächendeckende Aufmerksamkeit nicht zuteil.

Schon in der Religionsgeschichte waren Suchtmittel und Medizin streng getrennte Zuständigkeitsbereiche mit unterschiedlicher Popularität. Trotzdem wird auch heute noch beides miteinander vermischt, wie der Sager von Kanzler Karl Nehammer vom Wochenende zeigt. Der hat im Hinblick auf die Teuerung gesagt, man werde bei Nichtagieren nur die Wahl zwischen Alkohol und Psychopharmaka haben.

Beides ist falsch. Denn bei Schreckensszenarien, die Nehammer für den Herbst offenbar vorschweben, ist weder das eine noch das andere ein Ausweg. Weder ist Alkohol ein Mittel, um schlimme Erfahrungen besser zu machen, noch taugen Psychopharmaka dazu, sich zuzudröhnen. Das ist eine weit verbreitete Vereinfachung eines komplexen Themenfeldes, bei dem Österreich großen Aufholbedarf hätte.

Beispiel Depressionen: Wer sich mit dieser Diagnose durchs Leben quält, hat die Chance, von psychiatrisch ausgebildeten Fachärzten eine Erleichterung in pharmazeutischer Form zu bekommen. Chemische Prozesse im Gehirn werden reguliert, um ein normales Leben zu ermöglichen. Der Schritt dorthin ist groß: Als Konversationsthema für die Cocktailparty taugt „Meine Psychiaterin verschreibt mir …“ nicht. Über Psychopharmaka schweige ich.

Die Schwelle, sich zu betrinken, ist hingegen inexistent: Bieranstiche, volle Krüge, Weinverkostungen … Allein das Politikerleben ist voll der Symbolik dafür, dass wir mit einer folgenreichen Substanz einen sehr laxen Umgang pflegen.

Alkohol ist sozusagen die beste Droge der Welt: Er ist billig, nahezu überall erlaubt, und wenn man nicht schon um sieben Uhr früh mit Schnaps hantiert, wird niemand darüber nachdenken, ob ich ein Problem habe.

Gelöst wird durch Trinken jedoch nichts. Das stellen aktuell jene Menschen fest, die sich in den vergangenen zwei Pandemiejahren allein im stillen Kämmerlein ein veritables Problem angetrunken haben und jetzt vor einer anderen Stigma-Schwelle stehen: Wo und wie hole ich mir Hilfe? Und: Wer darf davon wissen?

Suchtexperten sprechen von fast einem Fünftel mehr Anfragen bei Beratungsstellen. Diese Zahl wird wohl zunehmen. Kein Witz.

Rausch und Medizin

Philipp Wilhelmer.

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