Radikales Chaos

Radikales Chaos
Die Proteste der Impfgegner verlegen sich auf ein neues Ziel: Das öffentliche Leben lahmzulegen. Das steht in keinem Verhältnis.
Philipp Wilhelmer

Philipp Wilhelmer

Jede Woche dasselbe Bild. Samstags ist die Wiener Innenstadt für Menschen, die ihr Nervenkostüm intakt sehen wollen, nicht zu betreten: Die Impfgegner sind unterwegs. Und behindern alles, was sich in dieser ohnehin strapaziösen Zeit nach normalem Zusammenleben anfühlt. Dass dabei nach „Freiheit“ geplärrt wird, lässt die Frage laut werden: Und unsere Freiheit? Können jene Menschen, die keinen Radau haben wollen, vielleicht auch mal das Straßenbild prägen? Die Geschäftstreibenden wären nicht undankbar darüber, wenn es nicht noch einen zusätzlichen Grund gäbe, sie zu meiden. Der letzte Lockdown im November, der das Vorweihnachtsgeschäft fast ruiniert hat, war übrigens jenen geschuldet, die massenhaft die Intensivstationen verstopften: Menschen ohne Impfschutz.

Dass die Impfproteste von vorneherein von extrem rechten Kräften gekapert wurden, ist kein Geheimnis. Ebenso wenig wie der Umstand, dass sich immer weniger Menschen diesem Chaos-Umzug anschließen möchten. Sei es, weil sie vielleicht doch Argumenten zugänglich sind, sei es wegen der winterlichen Temperaturen . Zeit also, den eigenen Demonstrationsplatz zu optimieren: Mit einem von der Polizei verbotenen Autokorso versuchte man (leider erfolgreich) am Freitag die Stadt lahmzulegen.

Das Vorbild stammt aus Kanada, wo Lkw-Fahrer und „Freiheits“-Kämpfer Grenzübergänge und Geschäftsviertel besetzten. Auch in Paris tut sich Ähnliches. Ebenso in Brüssel. Und in einzelnen Landeshauptstädten.

Niemand kann behaupten, dass diese Art, die Umgebung zu terrorisieren, irgendeiner Verhältnismäßigkeit folgt. Es kann nicht sein, dass man wegen einer nachgewiesen harmlosen Impfung das öffentliche Leben sabotiert und der ohnehin darbenden Wirtschaft Umsätze raubt.

Hier geht es radikalen Kräften darum, Instabilität mit vorgeschobenen Argumenten zu erschaffen. Und jeder, der mitmarschiert, sollte sich bewusst sein, welchen Zwecken er sich hier anschließt.

Ironischerweise muss man sich langsam fragen, wogegen hier demonstriert wird, denn die Lage ist äußerst unübersichtlich: Was gilt wann und wodurch? Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht ein Teil der geplanten Maßnahmen relativiert oder zurückgenommen wird. Eine schwache Regierung ringt mit starken Partikularinteressen. Dass man sich mit der Idee der Impflotterie blamiert hat, versucht nun Kanzler Karl Nehammer der SPÖ umzuhängen. Man hätte ihm gern geraten, die ohnehin fragwürdige rote Forderung nach Impfprämien vorher zu überprüfen.

Der Großteil der Bevölkerung hat alle Maßnahmen duldsam mitgetragen. Und wünscht sich Konsequenz. Schlimm genug, dass Chaos auf den Straßen regiert.

Porträt eines Mannes mit Brille vor dem Hintergrund „Kurier Kommentar“.

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