Werden wir künftig mehr arbeiten müssen statt weniger?
PRO:
Es sind eigentlich Binsenwahrheiten, die WKÖ-Präsident Harald Mahrer jüngst in einem KURIER-Interview ausgesprochen hat: dass wir künftig „alle ein wenig mehr arbeiten müssen und nicht weniger“; dass unser gut gepolsterter Sozialstaat „mit 4-Tage-Wochen für die Allgemeinheit nicht funktionieren“ wird.
Man könnte auch generell und noch schärfer sagen: Wenn wir unser historisch singuläres Niveau an Wohlstand, Freiheit und Sicherheit auch nur einigermaßen halten wollen (ganz ohne Einbußen wird es sowieso nicht gehen), werden wir uns ganz gehörig anstrengen müssen. Weil nämlich die Welt da draußen nicht vor Österreich oder Europa aufgrund des reichen kulturellen Erbes ehrfürchtig in die Knie sinkt, sondern unbegreiflicher Weise daran interessiert ist, ihre eigenen Lebensumstände sukzessive zu verbessern. Daraus entsteht das, was man globalen Wettbewerb nennt. Und in dem zu bestehen, bedeutet Anstrengung sowie Lust an Forschung und Innovation. Mit dem hierzulande gängigen Verständnis von Work-Life-Balance hat es eher weniger zu tun.
Man könnte Mahrer höchstens fragen, wieso seine Partei, die ja nicht erst seit gestern in der Regierung ist, offensichtlich wenig dazu beigetragen hat, etwas in seinem, Mahrers, Sinne zu verändern. Dass die „Sozialisten in allen Parteien“, denen Hayek seinen „Weg zur Knechtschaft“ gewidmet hat, solche Überlegungen stets entrüstet von sich weisen und als Ausweis menschenverachtender sozialer Empathielosigkeit abkanzeln, ist freilich ebenso wahr.
Rudolf Mitlöhner ist Innenpolitik-Redakteur
CONTRA:
Dass wir alle mehr arbeiten müssen, um wettbewerbsfähig zu bleiben, trommelten Wirtschaftsvertreter schon vor Jahren. Und boxten 2018 unter großen Protesten den 12-Stunden-Tag durch. Seither wird in Österreich nicht mehr, sondern immer weniger gearbeitet. Die 60-Stunden-Woche bleibt Ausnahme, die Teilzeitquote steigt und steigt. Nicht nur in Österreich, sondern in ganz Europa. Ein Zeichen hoch entwickelter Volkswirtschaften.
Allerdings steigt auch die Stundenanzahl in der Teilzeit. In der Regel werden 30 bis 35 Stunden gearbeitet und nicht 20 bis 25 wie in Österreich. In der EU-Teilzeithochburg Niederlande beträgt die durchschnittliche Wochenarbeitszeit 31 Stunden. Allen Unkenrufen zum Trotz: Der Wohlstand eines Landes hängt nicht von den geleisteten Arbeitsstunden ab, sondern wie produktiv gearbeitet wird. Die Leistungsfähigkeit des menschlichen Gehirns lässt nach sechs Stunden merklich nach, bestätigen Neurowissenschafter. Technischer Fortschritt (Digitalisierung, Automatisierung, künstliche Intelligenz) hilft, die Produktivität weiter zu steigern.
Schon richtig: Kürzere Arbeitszeiten würden in einigen Branchen den Fachkräftemangel verschärfen. Aber sie könnten auch Ältere länger in Beschäftigung halten. Zur Rettung des Sozialstaates empfehlen Experten daher „die goldene Regel“: weniger an Stunden, dafür mehr an Jahren, also ein höheres Pensionsantrittsalter bei gleichzeitiger Absenkung der wöchentlichen Normalarbeitszeit.
Anita Staudacher ist Wirtschaftsredakteurin
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