Soll man Straßen und Plätze von belasteten Namen befreien?
In Linz leitet der Bürgermeister Klaus Luger die Umbenennung von vier Straßen ein: „In dieser Stadt sollten keine Verkehrsflächen oder Straßen nach Menschen benannt sein, deren historischer Hintergrund eine extrem starke Propagierung von Menschenfeindlichkeit auszeichnet.“ Im Linzer Stadtsenat gibt es dafür eine Mehrheit: Die Grünen und die ÖVP sind für die Umbenennung, die FPÖ hat sich noch keine Meinung dazu gebildet. Mehr dazu hier
PRO
Es gibt eigentlich nur eine Art, dass das, was wir hier alle tun – eine Gesellschaft sein, einen Weg in die Zukunft suchen, uns auf Gemeinsames einigen –, nicht moribund wird: Dass wir uns nämlich in Permanenz selbst hinterfragen und die Kraft bewahren, einmal gefasste Meinungen zu ändern. Das Gegenteil ist derzeit en vogue: Auf jede Anregung eines neuen Gedankens, auf jeden Hinweis, dass etwas eventuell nicht mehr so ist, wie es einmal gesehen wurde, und geändert gehört, geht verlässlich das „cancel culture“-Gejammere los.
Das ist einerseits völlig ahistorisch (alles ändert sich immer) – und andererseits eine ungesunde, ja fatale Selbstimmunisierung gegen auch fundierte Kritik: Der Hinweis, dass etwas früher auch schon so war, wird als Totschlagargument dagegen geführt, dass es heute vielleicht anders werden könnte. Dabei ist es echt kein besonders avantgardistischer Gedanke, dass ein lieb gewonnener Film der eigenen Kindheit heute aus der Zeit gefallen sein könnte. Dass manche eingebürgerten Wörter als verletzend empfunden werden.
Und dass die Ehrenwürdigkeit, für die ein Straßenname verliehen wird, vielleicht in manchen Fällen heute anders bewertet werden müsste. Warum auch nicht? Es wäre ja noch schöner, wenn man nicht mehr gescheiter werden dürfte; und es wäre fatal, wenn die normative Kraft des Faktischen – „das ist halt so“ – ebendies verhindern würde. Also, ja, wenn sich nach heutigem Stand ein neues Gesamtbild ergibt, dann können Straßennamen geändert werden. Wir müssen gemeinsam immer besser scheitern.
Georg Leyrer leitet die Kultur-Redaktion
CONTRA
Nein, es heißt in der zivilisierten Welt selbstverständlich kein Platz mehr nach Adolf Hitler. Aus gutem Grund. Aber müssen auch Herbert von Karajan – kein glühender Nazi, aber überzeugter Mitläufer – oder Ferdinand Porsche – der Opportunist baute dem Führer seinen Volkswagen, war aber mitnichten Großprofiteur von Zwangsarbeit – aus dem Stadtbild weichen?
Nein. Der eine war ein Massenmörder jenseits aller Vorstellung. Die beiden anderen hatten davon vermutlich keine Vorstellung, sondern „nur“ ihr Fortkommen in finsterer Zeit im Sinn.
Und werden von neunmalklugen Nachgeborenen, die natürlich gewusst hätten, wie sie sich in der Zeit damals zu verhalten gehabt hätten, verurteilt.
Der Einwand, ein Straßenname sei eine Huldigung, die nur zu Huldigenden gebühre, hinkt zweifach. Erstens haben Karajan, Porsche & Co. Bewundernswertes geschaffen. Zweitens ist eine Straßenbenennung auch Erinnerung. Mit dem Streichen von Namen, dem Stürzen von Denkmälern wie etwa denen des Columbus streicht eine Gesellschaft auch ihre Erinnerung (der Begriff cancel culture kommt nicht von ungefähr), anstatt sich mit ihr auseinander zu setzen.
Was kommt mit der posthumen Besserwisserei noch? Wird Herr Duden gestrichen, weil er nicht schon im ersten Wörterbuch gegendert hat? Oder Thomas Edison, weil er die stromfressende Glühbirne erfand? Carl Benz wegen des stinkenden Automobils? Oder William E. Boeing, an Bord dessen Flugzeugen wir uns in Klimanotzeiten zu wenig flugschämen? Aber nach dem ist in Linz ohnehin keine Gasse benannt.
Andreas Schwarz leitet die Außenpolitik-Redaktion
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