PRO
Als Johann Jakob Tarone 1750 erstmals mit offizieller Erlaubnis Tische und Stühle vor sein Lokal am Wiener Graben stellte, war ihm wohl nicht bewusst, dass er damit den Beginn einer jahrhundertelangen Liebesgeschichte markierte: die der Wienerinnen und Wiener zu ihren Schanigärten. Das einzige Problem daran: sie war die längste Zeit saisonal bzw. an die Monate zwischen März und November gebunden. Die Pandemie änderte das, nun saß man virenbedingt auch im Winter im Freien – und darf das jetzt also auch weiterhin.
Gute Nachrichten für die frischlufthungrige Wiener Bevölkerung. Schließlich verbringt man ohnehin schon genügend Zeit am schlecht gelüfteten Arbeitsplatz. Zumindest in der Freizeit sollte man doch die Wahl haben, ob man beim Lokalbesuch drinnen oder draußen sitzt. Auch die Winterdepression hat es so in der ohnehin schon dunklen Jahreszeit sicherlich schwerer. Denn auch bei Kälte schafft es die Wintersonne, das Gemüt bei Melange oder Spritzer zu erhellen.
Der Umweltsünder Heizschwammerl kann dabei getrost im Abstellkammerl bleiben. Inmitten von Energie- und Klimakrise ist wohlig gewärmte Winterluft einfach unpassend und aus der Zeit gefallen. Und immerhin machte das Wiener Café Landtmann bereits im vergangenen Winter eine Heizschwammerl-Alternative salonfähig: kuschelige Bademäntel für die Gäste statt auf Anschlag aufgedrehte Heizstrahler.
Wem dennoch kalt ist, der kann sich ja – wie bisher üblich – in die warmen Gasträume setzen. Es lebe die freie Sitzplatzwahl!
Anya Antonius ist Chronik-Redakteuri
CONTRA
Wirklich überraschend war die Ankündigung von Ganzjahresschanigärten nicht. Diskutiert wurde darüber seit Jahren. Die Winterschanigärten waren schlicht die perfekte Gelegenheit, um aus einem Pandemie-Provisorium schleichend eine Dauerlösung zu machen.
Mit der ganzjährigen Öffnung kündigt die Stadt einerseits auch strengere Regeln für Gastronomen an (Stichwort gesittetes Verhalten der Gäste), betont aber gleichzeitig, hierbei auf die Eigenverantwortung der Wirte zu setzen. Wie gut es um diese bei manchen steht, hat Corona gezeigt. Was die Bewilligung von Schanigärten betrifft, so die Stadt, hätten diese nach wie vor eine geringere Priorität gegenüber Parkplätzen. Es ist ein Satz, der direkt aus den 1980er-Jahren zu stammen scheint. Öffentlicher Raum sowie konsumfreie Zonen sind knapp und kostbar. Mit Einführung des Parkpickerls kündigte man an, den frei gewordenen Platz für mehr Aufenthaltsräume und Grünraum nutzbar machen zu wollen. Nun soll der Raum offenbar kommerzialisiert und für noch mehr Schanigärten bereitgestellt werden.
Wer glaubt, dass Wirte im Winter verstärkt auf Decken und Felle setzten werden, gibt sich einer Illusion hin. Die Heizwammerln werden unweigerlich aus dem Boden schießen. Erst im vergangenen Jahr verdoppelte die Stadt die Gebühren für deren Aufstellung, mit dem erklärten Ziel, einen Lenkungseffekt in Sachen Energiesparen und Klimaschutz zu bewirken. Eben diese Bemühungen konterkariert man nun. Einleuchtend ist das nicht.
Verena Richter ist Chronik-Redakteurin
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