Gehört der Karpfen auf den Weihnachtstisch?
Elisabeth Holzer-Ottawa
19.12.22, 17:45Christoph Schwarz
19.12.22, 17:45Karpfen? Oder kein Karpfen? Alle Jahre wieder kommt das familiäre Weihnachtsdilemma auf den Tisch.
PRO
Von der kulinarischen Dreifaltigkeit des Weihnachtsschmauses – Karpfen, Geflügel oder Würstel – wusste ich als Kind nichts. Heiliger Abend war gleich Karpfen, der aus der Badewanne der Oma gefischt wurde. Da durfte er nämlich vorher zwei Tage lang schwimmen. Persönlich hätten die Enkelkinder vom Kindergarten- bis zum Gymnasiumsalter den Weihnachtsfisch ja auch gern dort gelassen, aber: Er kam – im Ganzen im Rohr gebraten, nicht gebacken! – auf den Tisch und alle haben ihn gegessen. Sogar die Kinder ein paar Bissen, auch wenn sie sich vor dem vorwurfsvollen Blick des Karpfens von der Kredenz herunter gegruselt haben.
Das halten wir heute noch so, Weihnachten ist Karpfenabend. Jetzt könnte man mit der Gesundheit argumentieren. Fisch gleich Omega-3-Fettsäuren, die sind wichtig und Fisch ist ja bekömmlich. Oder mit der Regionalität des Einkaufs, der Karpfen ist heimisch in Österreich. Oder auch mit der kircheneigenen Logik, wonach Fleisch in der Fastenzeit (ja, der Advent ist, Kekse hin, Christstollen her, Fastenzeit) verpönt, Fisch aber geduldet ist. Der Karpfen ist ein besonders üppiges Fischexemplar, also von daher würde sich seine Beliebtheit als Weihnachtsfastenbrecher erklären.
Aber weder Fettsäuren noch legendärer Fastenfisch sind der wahre Grund, weshalb es ohne Karpfen einfach nicht klappen kann. Der bringt nämlich Glück. Das hat schon die Oma gewusst, die von uns Kindern mindestens fünf Gabeln Karpfen abrang, damit wir eine seiner Schuppen bekommen. Die landete dann im Geldtascherl, das dann im darauf folgenden Jahr niemals leer sein würde.
Aberglaube? Mag sein. Aber wer hätte denn schon jemals eine Truthahnfeder ins Geldbörserl gesteckt? Das wäre ja wohl voll für die Fisch’. Glück gibt’s nur mit der Karpfenschuppe vom Weihnachtsfisch.
Elisabeth Holzer-Ottawa Die Autorin ist Chronik-Redakteurin in der Steiermark
CONTRA
Da liegt er also. Der wohlige Schein der Kerzen am Christbaum spiegelt sich wenig verheißungsvoll in der fettigen Panier. Auch das, was sich unter der goldgelben Kruste versteckt, ist nicht dazu angetan, das weihnachtliche Hochgefühl zu steigern. Im besten Fall kommt der gebackene Karpfen – eine Art festliches Fischstäbchen – ziemlich witz- und geschmacklos daher. Im schlechtesten Fall grundelt er vor sich hin, im wahrsten Sinne des Wortes. Breit legt sich dann der faulige Geschmack des Bodenschlamms jenes Teichs, aus dem das Getier gezogen wurde, um die Geschmacksknospen.
Da kann auch der Erdäpfel-Mayonnaise-Salat, der seinerseits nicht eben mit subtilen Aromen glänzt, kaum helfen. (Er trägt Mitschuld daran, dass die Galle jetzt schon schmerzt.) Der Zitronenschnitz, der für rettende Frische sorgen soll, ist gegen das hochkalorische Duo chancenlos.
Auch in der Vorbereitung erweist sich der Karpfen als kapriziös. Wird er wild gefangen, muss er tagelang in der Badewanne schwimmen und „gewässert“ werden, um dann (endlich tot und ausgenommen) über Nacht in Buttermilch zu ruhen. Das hilft – mit Glück – gegen den schlammigen Geschmack. Man stelle sich vor, der Truthahn residiere vor dem Füllen eine Woche lang im Kinderzimmer – undenkbar!
Dass die Karpfenbauern mittlerweile mit wissenschaftlichen Daten gegen das Image vom fetten Fisch zu Felde ziehen, soll hier freilich nicht verschwiegen sein. Körperfettmessungen am lebenden Waldviertler Prachtexemplar (am Karpfen, nicht am Konsumenten) zeigten: Im Mittel weist er 6,6 Prozent Fett auf. Deutlich weniger also als der zeitgeistige Lachs, der auf bis zu 25 Prozent kommt.
Kann er also doch bedenkenlos genossen werden? Nur, wenn Ihr Erste-Hilfe-Kurs nicht weit zurückliegt – und Sie den Heimlich-Griff bis Heiligabend noch ausgiebig an der Oma üben. Ein durchschnittlicher Karpfen hat ungefähr 100 Gräten.
Christoph Schwarz Der Autor schreibt allwöchentlich über das Thema Kulinarik
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