PRO
Der Missbrauch des Freiheitsbegriffs hat schon während der Pandemie floriert. Nun wird er beim Thema Tempo 100 unreflektiert in Debatten geschmettert. Niemand wird in seiner Freiheit eingeschränkt, wenn man statt mit 130 „nur“ mit 100 km/h fahren kann, wohin man will, wann man will und wozu man will. Die Menschheit wird aber eingeschränkt, wenn „unser“ Planet nicht mehr bewohnbar ist.
Es möge Bleifüße zur Weißglut bringen, aber die Rettung der Welt braucht radikale Maßnahmen. Eine gemütlichere Fahrt scheint angesichts der Klimaaussichten doch verkraftbar. Ein Pkw, der auf der Autobahn statt 130 nur 100 km/h fährt, verbraucht 23 Prozent weniger Sprit. Der Stickstoff-Ausstoß würde um rund 50 Prozent reduziert, der -Ausstoß um 23 Prozent und der Feinstaub um rund 34 Prozent. Von 73,6 Millionen Tonnen -Äquivalenten, die 2020 in Österreich emittiert wurden, verursachte der Verkehr 20,7 Millionen Tonnen – ein großer Teil verursacht durch Pkw.
Wem 100 km/h zu langsam ist, sollte auf den Zug umsteigen. Der Railjet erreicht Spitzengeschwindigkeiten von 230 km/h. Es ist Zeit zu bremsen, sonst fahren wir gegen die Wand – und zwar mit 130 km/h. Wer das nicht hören will, den überzeugt vielleicht die Energiekrise. Wenn Tempo 100 Haushalten, sicherheitskritischen Einrichtungen und relevanten Industrien – dieser Sektor darf auch bei all dem Idealismus nicht vergessen werden – Versorgungssicherheit ermöglicht, wiegt das im Winter mehr als das Kribbeln beim Kick-down am Gaspedal.
Diana Dauer ist Innenpolitikredakteurin
CONTRA
Die Geschwindigkeitsbegrenzung von 130 km/h auf Österreichs Autobahnen klingt nach viel Tempo, ist es aber nicht. Denn auf rund einem Drittel der 2.265 Autobahnkilometer gilt eine dauerhaft geringere Geschwindigkeit von 100 oder gar 80 km/h. Hinzu kommen Baustellen oder Staus, sodass unterm Strich bei längeren Fahrten kaum die 130 km/h erreicht werden. Daher sind Rechenbeispiele, die eine enorme Einsparung bei Sprit und vorgaukeln, ziemlich theoretischer Natur.
Wahr ist vielmehr, dass Ökos die aktuelle Energiedebatte als Vorwand nehmen, um endlich dauerhaft 100 umzusetzen. Dabei haben wir im Gegensatz zu den 70er-Jahren keinen Ölmangel, wie selbst Umweltministerin Gewessler zugeben musste und daher den Wunsch nach dem 100er abwies.
Richtig skurril wird der Ökoschmäh angesichts des Umstands, dass Autos immer weniger Schadstoffe ausstoßen; Elektroautos, die ja die Zukunft sein sollen, sogar gar keine. Warum sollten diese also beim Tempo limitiert werden?
Autobahnen werden seit jeher gebaut, um rasch und sicher ans Ziel zu gelangen. Auf vielen Abschnitten ist eine hohe Sicherheit gegeben, sodass sogar mehr als weniger möglich wäre. Bei geringerem Tempo würde sich die Frage nach der Legitimation der Maut stellen. Bundesstraßen könnten dann (auf kurzen Strecken) eine zeitlich brauchbare Alternative darstellen.
Jeder, der will, kann ja 100 fahren. Aber bitte nicht der Mehrheit (laut KURIER-Umfrage 63 Prozent) den Willen aufzwingen.
Robert Kleedorfer ist stellvertretender Wirtschaftsressortleiter.
Kommentare