Populistische Reflexe
Alleine wird's nicht gehen.
Nur neun Prozent der Österreicher befürworten in einer Umfrage der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) das Freihandelsabkommen TTIP. 77 Prozent ewarten explizit negative Folgen.
Zugegeben, die hier zitierte Umfrage, ist schon ein etwas älter. Sie stammt vom März 2015.
Aber es brauchte eben, bis die Stimmungslage in der Bevölkerung auch in der Politik angekommen ist.
Eineinhalb Jahre später hat Kanzler Kern nach seiner Kritik an TTIP nun auch gegen das Freihandelsabkommen CETA, von Gegnern stets als Blaupause für TTIP bezeichnet, mobil gemacht – mit dem kleinen Schönheitsfehler freilich, dass die CETA-Verhandlungen inzwischen abgeschlossen sind.
Was, außer – wie angenommen werden darf - breites Kopfnicken in der Bevölkerung, bringt also die nunmehrige Ankündigung von Kanzler Kern, die Mitglieder seiner Partei zum Freihandelsabkommen CETA befragen zu wollen? Einen „populistischen Reflex“ schloss Kern bei der Pressekonferenz am Freitag jedenfalls aus.
Wer ihm glauben will, muss zumindest folgende Frage positiv für sich beantworten: Ist CETA jetzt noch verhinderbar?
Die politische Antwort: Beschlossen ist der Text noch nicht. Nachdem insbesondere aus Österreich der Druck auf die EU-Kommission erhöht wurde, hatte es Anfang Juni geheißen, CETA müsse alle nationalen Parlamente der EU-Mitgliedsstaaten.
Die praktische Antwort: Alleine wird's nicht gehen.
Ohne ÖVP nicht, wo sich Europabgeordneter Othmar Karas am Freitag empört über die "Flucht aus staatspolitischer Verantwortung" zeigte.
Und ohne internationale Unterstützung auch nicht. Das Abkommen soll auf EU-Ratsebene abgesegnet werden. Ohne Verbündete für eine qualifizierte Mehrheit kann Österreich hier nichts ausrichten. Der verhaltene Verweis Kerns auf die Position der deutschen SPD zu CETA, von der er sich wohl zu seiner geforderten Migliederbefragung inspirieren hat lassen, ist da als erstes Andocken zu verstehen.
Die SPD stimmt Mitte September in einem eigenen Konvent über ihre Position zu CETA ab. Das Problem in Kerns Argumentation: Deren Vorsitzender Gabriel versucht seine Partei gerade davon zu überzeugen, dass CETA eben nicht der böse TTIP-Zwilling ist, sondern dessen sehr viel freundlichere kleiner Bruder.
Anders als bei Kanzler Kern steht für Vizekanzler Gabriel viel auf dem Spiel. Mit seiner Kritik an TTIP will der deutsche Wirtschaftsminister an Glaubwürdigkeit innerhalb seiner Partei gewinnen, mit seinem Einsatz für CETA sich als Wirtschaftsminister behaupten.
Dass sich Kern, im Gegensatz zu seinem sozialdemokratischen Genossen aus Deutschland, nicht für CETA, sondern gegen das Freihandelsabkommen ausgesprochen hat, ist da ein nicht unfeiner Unterschied. Während Gabriel um die Mehrheit in seiner Partei kämpfen muss, ist es für Kern eine Befragung ohne Risiko.
So ganz ohne "populistischen Reflex" – um bei Kerns Formulierung zu bleiben – ist seine Forderung also wohl nicht zu erklären. Angesichts der Reaktionen aus der ÖVP, ist der nächste Koalitionskrach damit aber quasi vorprogrammiert.
Kommentare