NATO? So sad! Aber was kommt nachher?

US-Präsident Trump ist oft „sad“, also traurig, wenn er Missstände sieht. Aber wer sorgt für Sicherheit?
Helmut Brandstätter

Helmut Brandstätter

Wenn sich Verbündete treffen, herrscht normalerweise eine lockere Stimmung. Es gibt gemeinsame Interessen, manchmal sogar eine persönliche Nähe. Beim NATO-Gipfel in Brüssel aber standen Leute zusammen, die einander zum Teil verachten oder auch hassen. Und sie hatten auch nicht viel gemeinsam: Erdoğan, der seinen Machtrausch immer wilder auslebt, stand neben dem griechischen Sozialisten Tsipras, der wegen der Türkei seinen bescheidenen Staatshaushalt mit hohen Militärausgaben überstrapaziert. Die Balten beäugen kritisch Ungarns Orban, der Putin verehrt und erst vor kurzem die „östliche Gefahr“ entdeckte. Trump beschimpft die Deutschen und wirft ihnen vor, von Russland abhängig zu sein, während er selbst Putin schon aus der Ferne als „Freund“ hofiert. Das soll ein Bündnis sein?

Die NATO ist ein Produkt des Kalten Krieges, die Blockade Westberlins durch die Russen im Winter 1948/49 hat ihre Gründung beschleunigt. Als westliches Verteidigungsbündnis war es ihre Aufgabe, „die Amerikaner in Europa zu halten, die Russen draußen und die Deutschen unten“, wie es der erste NATO Generalsekretär Lord Ismay einmal britisch-flapsig formulierte.

Deutschland muss niemand mehr klein halten, noch jede Regierung in Bonn und später in Berlin hat verstanden, dass ihr Land im Westen eingebunden sein muss. Trumps Befürchtung, die Deutschen würden sich an Russland anlehnen, ist unbegründet. Den sogenannten Rapallo-Komplex, von dem er wahrscheinlich noch nichts gehört hat, gab es nur nach dem 1. Weltkrieg, als Deutsche und Russen durch einen Vertrag ihre außenpolitische Situation stärken wollten.

Die Europäer müssen wieder beten lernen

Niemand wirft den Russen vor, dass sie militärisch nach Westeuropa vordringen wollen. Versuche, die EU zu destabilisieren hingegen sind offensichtlich und die Ängste der benachbarten Balten real. Die Präsenz der US-Truppen in Deutschland hat den Frieden gesichert und zum Ende der Sowjetunion beigetragen. Wenn Trump jetzt aus Europa hinauswill und sogar mit dem Herzstück des Bündnisses, der Beistandspflicht nach Artikel 5 spielt, müssen die Europäer endlich über Alternativen nachdenken. Trump hat zwar seine Drohungen am gestrigen Nachmittag wieder relativiert, aber niemand erwartet von ihm Verlässlichkeit, das ist endgültig vorbei.

Da hilft nur beten, was auf Dauer nicht reicht. Es gab ja einmal ein europäisches Verteidigungsbündnis, die Westeuropäische Union (WEU), die aber nie mehr war als eine Idee. Jetzt gibt es eine Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU, aber keine klare Strategie dahinter. Einen lauteren Weckruf als Trumps unverlässliche Schaukelpolitik werden die Europäer nicht mehr bekommen, hoffentlich warten sie nicht darauf, dass in Berlin eine nationalistsche Regierung den militärischen Alleingang plant. Europa war noch nie ökonomisch so stark wie heute und gleichzeitig so orientierungslos. Gesucht wird eine Sicherheitsstrategie für die EU.

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