Messt neue Top-Leute nicht nach ihren alten Dissertationen
Es ist ein Sport geworden, bei Top-Leuten nach "Läusen" in ihren Dissertationen zu suchen.
Nein, es ist kein Kavaliersdelikt, geistiges Eigentum zu stehlen, um selbst zu akademischen Weihen zu kommen. Aber: Es ist ein Sport geworden, bei Top-Leuten (speziell Politikern) nach "Läusen" in ihren alten Abschlussarbeiten zu suchen. Dank Computerprogrammen ist das heute keine große Hexerei mehr. Plagiatsaffären haben schon die deutschen Minister Guttenberg und Schavan die Jobs gekostet, obwohl niemand ihre Qualifikation als Politiker bezweifelte.Bei aller Empörung sollte man eine Frage nicht vergessen: Ist jemand ein schlechterer Manager oder Politiker, weil er oder sie vor vielen Jahrzehnten bei seiner Doktorarbeit nicht ganz sauber gearbeitet hat?
Vor-Google-Zeit
Weiß jemand von den jetzigen Beckmessern, dass man damals nicht alles googeln und dann sachte modifiziert als (vor-)wissenschaftliche Arbeit ausgeben konnte, sondern in eine echte Bibliothek dafür gehen musste, und – noch vor Roščićs Studentenzeit – das Ganze in eine Schreibmaschine tippte (was dazu führte, dass man die gesamte Arbeit mehr als einmal neu schreiben musste)? Natürlich rechtfertigt das weder damals noch heute, seine Quellen zu verschleiern, wie es Roščić möglicherweise getan hat. Laut dem Magazin profil gibt es in seiner Arbeit über Adorno keinen Hinweis auf eine Quelle, die er stark verwendet hat.
Heutzutage ginge das übrigens nicht mehr, seit einigen Jahren werden alle Abschlussarbeiten von den Unis noch vor ihrer Beurteilung durch ein Plagiatsprogramm gejagt. (Was leider nicht die Arbeit von Ghostwritern entlarvt – das hat sich nämlich zum einträglichen Geschäft entwickelt. Wer kümmert sich eigentlich darum?)
Erstaunlich ist auch, dass bei allen Plagiatsfällen niemand die damaligen Doktor-Väter (sorry, den Begriff Doktor-Mütter gibt’s nicht) anprangert, die die Arbeit anerkannten. Warum äußert niemand Zweifel an ihrer Lehrbefugnis? Wer hat die Dissertation damals approbiert? Und kritisiert irgendjemand den geisteswissenschaftlichen Betrieb, der von Studierenden oft nicht eigene originelle Gedanken und Recherche erwartet, sondern möglichst geräuschlose "Futterverwertung" der bisherigen wissenschaftlichen Arbeiten?
Gutachter prüfen
Gewerbsmäßiger Diebstahl geistigen Eigentums ist nach ein bis fünf Jahren verjährt. Auf zivilrechtlichem Wege kann sich der Bestohlene aber noch lange wehren und etwa verfügen, dass das Werk des Übeltäters eingestampft wird. Im Falle einer alten Dissertation ist das aber wohl eher egal.
Die Universität Wien ist nun dabei, die Arbeit von Roščić auf Textgleichheit zu überprüfen. War er ein Schwindler? Eigens einberufene Gutachter werden in den nächsten Monaten entscheiden, ob sein Studienabschluss für hinfällig erklärt werden muss. Das wäre aufsehenerregend, hat jedoch recht wenig damit zu tun, ob er ab 2020 ein guter Operndirektor sein wird. Er war eine überraschende Entscheidung, noch kann niemand beurteilen, ob das ein Geniestreich oder eher keine gute Idee war. Messt Roščić an seinen kommenden Taten – und nicht daran, was vor knapp drei Jahrzehnten war.
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