Vom Singen und vom nicht Singen

Vom Singen und vom nicht Singen
Der Sport will die Politik krampfhaft aus seiner Welt heraushalten. Dabei sind die iranischen Fußballer längst zum Spielball der Politik geworden.
Laila Docekal

Laila Docekal

Der Sport will die Politik aus seiner Welt heraushalten. Krampfhaft werden in Katar derzeit unerwünschte Symbole und Flaggen schon am Eingang zum Stadion abgefangen. Einige Besucher, die es mit T-Shirts und iranischer Flagge mit der Aufschrift „Woman, Life, Freedom“ (Frau, Leben, Freiheit) ins Stadion schafften, wurden sogar kurzzeitig verhaftet.

Vergangene Woche hatte ich zwei Mal Tränen in den Augen: Das erste Mal, als die iranischen WM-Spieler die Hymne der Islamischen Republik nicht mitgesungen haben (bei den Aufständen singen die Iraner derzeit demonstrativ ihre frühere Nationalhymne). Die Fußballer standen vorab unter enormem Druck durch das Regime, das mit allen Mitteln den Schein wahren will, es sei im Land alles in Ordnung. Gleichzeitig gab es massiven Druck aus der Bevölkerung, Rückgrat zu zeigen und ein Zeichen für die Proteste zu setzen. Die Spieler schwiegen bei der Hymne, obwohl sie damit sich und ihre Familien in große Gefahr brachten. Und sagten damit alles. Im iranischen TV wurden diese Bilder überblendet.

Wenige Tage später zum zweiten Mal Tränen – beim Spiel gegen Wales. Diesmal bewegten die Fußballer die Lippen bei der Hymne. Tags zuvor war ihr ehemaliger Team-Kollege Voria Ghafouri verhaftet worden. Der iranische Kurde hatte sich offen gegen das Regime geäußert. Ein Schuss vor den Bug für die Spieler in Katar.

Nach dem Spiel brachten die iranischen Staatsmedien Bilder von jubelnden Menschen – sogar von Frauen ohne Kopftuch, um die Offenheit des Landes zu signalisieren. Aufnahmen von Augenzeugen vor Ort zeigen ein anderes Bild: Gefeiert wird der Sieg gegen Wales fast nur von Mullahs und ihren Revolutionsgarden. Die Bevölkerung geht großteils teilnahmslos vorbei. Die Menschen trauern um die vielen Toten der vergangenen Wochen.

Schon im Römischen Reich kritisierte Juvenal, dass Brot und Spiele missbraucht werden, um von politischen Problemen abzulenken. Hier sind die Fußballer selbst zum Spielball der Politik geworden.

laila.docekal@kurier.at

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