Vier Minuten

Vier Minuten
Wie viel Zeit benötigt es, um Abschied zu nehmen, wenn es kein Wiedersehen mehr gibt?
Anja Kröll

Anja Kröll

Vier Minuten. So viel Vorsprung hat mir der Tod gewährt. Für den Abschied von einem ganzen Leben.

Mein Bergdorf trauert um einen Menschen, der jeden Tag die Jagdkapelle für ihre Besucher geöffnet hat. Der im Sommer die Gärten der Zweitwohnsitzer gemäht und im Winter ihre Einfahrten vom Schnee befreit hat. Einen, der mit Leidenschaft Eisenbahner war, aber mit Liebe seine rot-weiß-rote Skilehreruniform getragen hat. Der die Welt nicht zu entdecken brauchte, weil er sie in seinem Bergdorf bereits gefunden hatte.

Ich trauere um einen Menschen, der mir die schönsten Häuser aus Tschurtschen und Steinen gebaut hat, die sich ein Kind wünschen kann. Der einem früh Skifahren lehren und später mitgeben sollte, Menschen mit all ihren Fehlern anzunehmen. Der auf die Frage: „Soll ich das machen?“, stets geantwortet hat: „Solange es dich glücklich macht.“ Der mich von Kindesbeinen an und bis zum Ende „Mecki“ nannte. Ich trauere um einen Menschen, durch den ich erkannt habe, dass Eltern, die von klein auf dein Bild der perfekten Welt bestimmen, in eben dieser Welt fehlerhaft sein dürfen. Und manchmal sogar an ihr scheitern.

Ich trauere um einen Menschen, der mich zu Pünktlichkeit erzogen hat. Der von meinem Besuchstermin im Krankenhaus um 18 Uhr wusste und dem klar war, dass ich nicht zu spät kommen würde. Um 18 Uhr saß ich an seinem Bett. Hielt seine Hand, küsste ein letztes Mal seine Stirn an dieser speziellen Stelle ganz oben rechts, wo die weißen Haare schon zurückwichen.

Bis uns um 18.04 Uhr der Tod überholt hat.

Vier Minuten waren mir für den Abschied von meinem Vater geschenkt.

Danke, Papa. Für alles. Vor allem für die wertvollsten vier Minuten meines Lebens.

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