Blind Date im Zug: Man weiß nie, was kommt

Blind Date im Zug: Man weiß nie, was kommt
Wenn man Pech hat, fährt der Sitznachbar gleich einmal seine Ellbogen aus, platziert sich breitbeinig (Manspreading!) am Nebensitz,
Marco Weise

Marco Weise

Ein Land fährt Bahn. Egal zu welcher Tageszeit man in Wien einsteigt und sich in Richtung Westen in Bewegung setzt: Die Züge sind gut ausgelastet. Das ist erfreulich – vor allem für die CO2-Bilanz.

Das Problem: Wer nicht reserviert, muss nehmen, was (noch) frei ist. Machten einige Fahrgäste bereits vor der Pandemie nur sehr ungern den Platz neben sich frei, so ist das mit Corona noch etwas schwieriger geworden. Soll heißen: Die Frage „Ist der Platz neben Ihnen noch frei?“ wird nicht selten mit einem genervten Blick und einem frustriert-gestöhnten „Bjah“ beantwortet.

Irgendwie ist diese Ablehnung auch nachvollziehbar, denn man weiß ja nie, was da so kommt. Okay, meistens ist dieses Blind-Date im Zug keine große Sache – oft ist es sogar gewinnbringend, unterhaltend, inspirierend. Ganz sicher haben sich dabei auch schon zwei fürs Leben kennengelernt.

Aber: Wenn man Pech hat, fährt der Sitznachbar gleich einmal seine Ellbogen aus, platziert sich breitbeinig (Manspreading!) am Nebensitz, schwitzt, riecht nach Stress oder Essen (Duftnote: Fritteusenfett), isst ununterbrochen, um so der Maskenpflicht zu entkommen. Fast noch schlimmer ist nur noch der „Ich-bin-so-wichtig-und-muss-überall-telefonieren“-Typus, der ebenfalls gerne die Maske ablegt, weil sonst ja niemand etwas versteht. Und so darf bzw. muss das ganze Abteil mithören.

Gesprochen wird über Geld, Beziehungen, geplante Operationen, unfähige Arbeitskollegen und noch unfähigere Chefs. Das alles will man natürlich nicht wissen. Eigentlich möchte man nur in Ruhe Zeitung lesen oder Musik hören, aber das Bla Bla Bla übertönt alles. Man kann gar nicht weghören, hört so also Dinge und Infos, die niemand freiwillig auf Facebook preisgeben würde. Im Zug nehmen es einige aber nicht so genau mit der Privatsphäre.

Der deutsche Autor Erkan Dörtoluk sammelt seit 2011 diese in öffentlichen Verkehrsmitteln aufgeschnappten Gesprächsfetzen und veröffentlicht sie auf Twitter. Diese witzigen, fast philosophischen, aber auch erschreckend absurden Dialoge hat er auch in einem Buch (siehe Bild) veröffentlicht. Das müssen Sie sich jetzt aber nicht kaufen. Fahren Sie stattdessen selbst mit dem Zug.

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