Wenn also Journalisten schreiben, dass Impfen für gesunde Erwachsene ein deutlich geringeres Risiko darstellt als Nicht-Impfen, dann tun sie es nicht, weil sie „von der Regierung für Impfpropaganda gekauft“ sind, wie auch dem KURIER manchmal unterstellt wird. Sie tun es auf Basis von Dutzenden Fachinterviews und Studienergebnissen. Was wiederum nicht bedeutet, dass wir Medien kein Verständnis für manche Argumente der Kritiker und auch für die Verunsicherung einiger haben. Für Genesene zum Beispiel gibt es zu wenig nachvollziehbare Richtlinien.
Im Herbst wird die Infektionszahl wieder hoch sein. Knapp 60 Prozent der Österreicher sind doppelt geimpft – wahrscheinlich nicht genug, um eine Spitalsüberlastung zu verhindern. Womit es auch eine gesellschaftliche Verantwortung jedes Einzelnen gibt, die Virusausbreitung zu bremsen.
Wir sind eine saturierte Gesellschaft, in der jeder Anspruch auf den höchsten medizinischen Standard hat. Man kann sich die Fortschrittsfeindlichkeit somit gewissermaßen leisten. Die jahrzehntelange „Gehirnwäsche“ zeigt Wirkung: Von Boulevardmedien bis tief hinein in die Universitäten wurde den Österreichern ja eine Technik-, Naturwissenschafts-, Freihandels- und, ja, auch Unternehmerfeindlichkeit eingetrichtert. Gentechnik lehnen wir sowieso inbrünstig (und oft genug faktenlos) ab. Da hilft es nicht einmal, dass der Biontech-Impfstoff nicht von einem US-Pharma-Giganten, sondern von einem deutschen Forscherpaar mit türkischem Migrationshintergrund entwickelt wurde.
Differenzierte Diskussion ist gefragt – in der auch nicht jedes Argument der Coronamaßnahmen-Skeptiker gleich verächtlich vom Tisch gewischt wird. Natürlich sind Bewegung, gesunder Lebensstil und ein gutes Immunsystem ein wichtiger Schutz gegen das Virus. Es gibt alternative Methoden (Vitamin C, Nasensprays u. a.) – ernsthafte Studien bestätigen die Wirkung aber noch nicht. Und klar wollen Pharmafirmen Geld verdienen. Aber man kann sicher sein, dass nicht in allen Unis, Behörden und Medien weltweit nur Büttel der Pharmaindustrie sitzen. Wer so etwas glaubt, vertraut auch eher dem Kräuterpfarrer als der Uniklinik. Wahrscheinlich sind bis zu einem Fünftel der Österreicher – auch dank der Sozialen Medien – für so ein magisches Denken anfällig. Keine guten Voraussetzungen zur Überwindung einer Pandemie.
Kommentare