Es kommt nicht alle Tage vor, dass sich ein Vizekanzler öffentlich über „anonymes Gemurkse“ und „Gefurze“ echauffiert. Allein deshalb ist beachtenswert, was sich jüngst im Parlamentsklub der Grünen zutrug: Sprichwörtlich über Nacht hat Parteichef Werner Kogler zu einer Pressekonferenz geladen. Wie wichtig ihm und den Grünen die Sache ist, konnte man bereits daran ablesen, dass Koglers zwei Stellvertreter sowie die amtierende Klubobfrau zugegen waren. Der politische Auftrag der versammelten Parteispitze: eine Solidaritätsadresse für Lena Schilling.
Stunden zuvor war eine seit Wochen in Wien kursierende Unterlassungserklärung publik geworden, die ein Medienhaus zum Anlass nahm, um die charakterliche Integrität der 23-jährigen EU-Spitzenkandidatin zu hinterfragen. Schilling habe ein „problematisches Verhältnis zur Wahrheit“; sie hinterlasse verbrannte Erde.
Es ist die Unbestimmtheit dieser erstens anonym vorgebrachten und zweitens tief ins Private reichenden Vorwürfe, die Kogler & Konsorten wütend macht und von „Gemurkse und Gefurze“ reden lässt. Es laufe eine üble „Schmutzkübel-Kampagne“, die rein gar nichts mit Politik zu tun habe.
Nun, ganz so einfach ist die Angelegenheit auch wieder nicht. Mit Recht wird von amtierenden wie angehenden Spitzenpolitikern erwartet, dass sie in der Funktion wie im Privaten integer agieren. Sie sollen – auch – als Vorbilder gelten. Aus dieser Perspektive ist die charakterliche Eignung – und damit auch das private Verhalten – bei Spitzenpolitikern nicht kategorisch Tabu.
Aber wann darf und soll öffentlich thematisiert werden, wie sich eine Politikerin im Privaten verhält? Welche Kriterien kann man bei dieser Frage anlegen?
Im Prinzip ist die Sache einfacher, als es scheint: Abgesehen von strafrechtlich Relevantem, das ohnehin von der Justiz verfolgt werden muss, geht es bei Spitzenpolitikern und ihrem Privatleben oft darum, ob das, was sie öffentlich fordern oder in ihre Wahl- und Parteiprogramme schreiben, mit der gelebten Realität zusammenpasst.
Geht es die Öffentlichkeit etwas an, in welchen sexuellen Beziehungen ein Minister oder eine Ministerin lebt? Selbstverständlich nicht. Geht es die Öffentlichkeit etwas an, wenn etwa eine Ministerin die gleichgeschlechtliche Ehe öffentlich als abartig geißelt – und gleichzeitig selbst mit einer Frau zusammenlebt? Ziemlich sicher schon.
Relevant wird Privates in den seltenen Fällen, in denen sich politische Forderungen, Haltungen und Ansagen mit der privaten Lebensführung beißen. Es geht um Authentizität und Glaubwürdigkeit. Alles andere ist privat – und muss es auch bleiben. Andernfalls werden künftig nur noch Menschen in die Politik drängen, die bei sich und anderen auf Privatsphäre verzichten – oder die zu dumm sind, deren Wert zu erkennen. Beides sind eher beängstigende Perspektiven.
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