Yussi Pick: Aus meiner Sicht wurde die Flucht nach vorne versucht, die Pressekonferenz war ja prominent besetzt, mit Parteichef, Vizeparteichefin, Klubobfrau und Spitzenkandidatin. Somit ist auch klar, dass die Grünen den Standard-Artikel für gefährlich halten.
Als erfahrener Kampagnenberater: Haben die Grünen auf die Anschuldigungen gegen ihre Spitzenkandidatin Lena Schilling aus ihrer Sicht richtig reagiert?
Mir ist nicht klar, warum diese Flucht der Grünen nach vorne nicht vor Erscheinen des Artikels stattgefunden hat, die wussten das ja offenbar schon länger. Und die Argumentationslinie, das seien ja alles nur bösartige Gerüchte, hätte man auch vorab lancieren können, dann hätten die Grünen eben nicht reagiert, sondern proaktiv handeln können, und der Artikel wäre in dieser Form eher nicht erschienen. Nur sehe ich jetzt das Exit-Szenario für die Grünen nicht.
Was meinen Sie damit?
Die Geschichte wird weitergehen, es wird weiter recherchiert werden, und einige jener, die anonym zitiert wurden, werden das auch öffentlich sagen. Da sehe ich nicht, wie die Grünen weiter damit umgehen sollen, es wurde ja bereits maximal eskaliert und die symbolische Wagenburg rund um Frau Schilling gemacht.
Wie sehen Sie die Auswirkungen? Ist für die Grünen der EU-Wahlkampf damit gelaufen?
Da kommt es ein bisschen auf die nächsten Tage an. Mir scheint dieser Spin, das etwa zwei Tatsachen aus dem Artikel bereits widerlegt und ausgebessert wurden, geht gerade ein bisschen auf. Aber da kommt sicher noch mehr, und es wird sicher das Hauptthema des bisher langweiligen EU-Wahlkampfs werden, jedenfalls in den kommenden Wochen. Es wird für die Grünen aber aus meiner Sicht schwierig, da noch die Kurve zu kratzen.
Aber es gibt auch so Jetzt-erst-recht-Effekte, wäre das nicht auch denkbar?
Ja, bei Skandalen kann es auch den gegenteiligen Effekt geben. Deswegen denke ich ja, es wird auf die nächsten Tage ankommen. Der Effekt funktioniert vor allem, wenn es ein Angriff von außen ist. Das war offenbar aber hier gar nicht der Fall, sondern die Anschuldigungen dürften aus der grünen Bewegung kommen.
Geht es hier eigentlich um dieses Dirty oder Negative Campaigning, Stichwort Kompromat? Und sammeln nicht alle Parteien solche Dossiers über den politischen Gegner?
Ja, alle Parteien machen Dossiers über die anderen. Aber am allerwichtigsten ist ein Dossier über den eigenen Spitzenkandidaten. Da frage ich mich, ob die Grünen das auch ordentlich bei der doch recht hastigen Suche nach ihrer Spitzenkandidatin gemacht haben.
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