Gottschalk und der Mob: Besinnt euch
Thomas Gottschalk auf der Bühne der ROMY in Kitzbühel
Vielleicht ist die Krebserkrankung von Thomas Gottschalk der Punkt, an dem alle wieder zur Besinnung kommen. Man muss es hoffen. Denn der Umgang mit dem Showmaster in den letzten Wochen zeigte, wie sehr wir uns verloren haben, als Gesellschaft, als Gemeinschaft. Wir sind Mob.
Einst konnte man die Vernichtung von Menschen dem Boulevard zubuchen: Nicht nur Katharina Blum hat bekanntermaßen ihre Ehre verloren, ganz viele Existenzen wurden für ein bisschen Zeitungsauflage ruiniert. Auch diesmal wieder geiferte der Boulevard von „TV-Skandal“ und ähnlichem Unsinn, als Gottschalk bei der „Bambi“ und, abgeschwächt, bei der ROMY sichtlich neben sich stand.
Im Rückblick: Unerträglich. Das Fatale ist: Dieses gnadenlose, mitleidlose Boulevard-Prinzip bestimmt inzwischen, wie wir uns als Gesellschaft austauschen. So viele Menschen stehen in den sozialen Medien bereit, beim nichtigsten Anlass mit Worten um sich zu schlagen, dass diese Art des Miteinanderumgehens alles zu vergiften beginnt. Gottschalk hat bei der „Bambi“-Verleihung etwas Ungutes gesagt, kein Zweifel. Was danach geschah, war aber viel erschreckender. Ohne Innehalten, ohne einen mildernden Gedanken wurde Gottschalk in den sozialen Medien das Wort, das Reden verboten und seine Lebensleistung gleich mitentsorgt. Ein Moment der Schwäche, ein eskalierter Sager – und ein Mensch wird auf null gestellt.
Egal, was dahintersteckt. Egal, ob hier vielleicht ein schwerstkranker Mensch auf Medikamenten ist, die er für die ROMY-Gala sogar aussetzen wollte. Der sogar sein Leben hintanstellt, um zu unterhalten. Das alles zählt nicht.
Der Fall Gottschalk zeigte diesen irrelaufenden Vernichtungsmechanismus unter dem Vergrößerungsglas; es ist aber leider so, dass sich immer und überall ein derartiger Mob findet. Bei der geringsten Unebenheit werden Menschen oder gleich ganze Gruppen zum Ziel der Hasskommentare, der empörten Totalablehnung. Man spricht einander nicht nur die Meinung ab, sondern das Recht, eine solche zu haben. Und wer sagt, es sind immer nur die politisch anderen, die canceln oder moralisieren, der macht sich mitschuldig – weil er in dieser Verrohungslogik mitspielt. Es sind alle Seiten, die mit dem Feuer spielen.
Man muss es vielleicht mal aussprechen: Es gab politische Systeme, die das Andersmeinende, das Schwächelnde, das Hilflose vernichten wollten. Heute gibt es dort, wo wir uns zum gesellschaftlichen Austausch treffen, wieder keinen Platz, keine Gnade mehr für die Ambivalenzen und Nuancen, die das Menschsein ausmachen, für den Schmutz unter den Nägeln, die inneren Abgründe in uns allen. Empört euch, hieß es vor Kurzem noch. Besinnt euch, muss man dem entgegenrufen. Denn so kann es nicht weitergehen.
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