Redet die „Boomer“ nicht schlecht!

Sie werden „Boomer“ genannt, und es ist nicht freundlich gemeint: Die Jungen betrachten die geburtenreichen Sechzigerjahrgänge mit Skepsis. Ein Generationenkonflikt ist das noch nicht. Der kommt erst, wenn alle „Boomer“ im Ruhestand sind und die Jungen erschreckt feststellen, welch hoher Budget-Anteil ins Pensionssystem fließt. Derzeit wird den Alten ja hauptsächlich vorgeworfen, die Ressourcen der Welt verbraucht zu haben. Aber waren die Boomer wirklich die „Generation Sorglos“, während nun die „Generation Dauerkrise“ übernimmt?
Zwei Drittel der über 2.000 Befragten des diese Woche veröffentlichten „Jugend-Monitors“ finden, dass es schwieriger wird, sich Wohlstand aufzubauen. Stimmt. Aber: Nie gab es eine wohlhabendere Jugend als jetzt. Auch in den Achtzigerjahren stagnierte die Wirtschaft nach den „Ölpreisschocks“, die Kreditzinsen stiegen stark, die Inflation war höher und die Arbeitslosigkeit auch.
Mehr als die Hälfte der jetzt Jungen kauft übrigens vorwiegend in Online-Shops. Das ruiniert nicht nur den stationären Handel, sondern ist auch ökologisch bedenklich, genauso wie das Streaming. Die „Boomer“ hatten einst nicht einmal einen Fernseher daheim. Umweltschutz war dennoch kein Fremdwort. Das Pickerl „Atomkraft, nein danke“ zierte viele (Jute-)Taschen. Man bekämpfte den Sauren Regen und verbot das Treibgas FCKW, damit sich das Ozonloch wieder schließt.
Schon damals drohten die Russen mit einem Atomschlag, es herrschte Kriegsangst – und niemand hätte es cool gefunden, KPÖ zu wählen. Die Boomer zitterten vor AHS-Aufnahmsprüfungen und vor autoritären Lehrherrn. Nicht jede schwierige Lebenslage wurde gleich zur Armutsgefährdung hochstilisiert. Studenten lebten oft in Substandardwohnungen und übernahmen Jobs, für die sich viele heute zu schade sind. Niemand betrachtete Abend- oder Wochenendarbeit als Gefährdung der Work-Life-Balance. (Damals war noch nicht einmal der Begriff erfunden.)
Um Jobs drängte man sich, Homeoffice war noch lange kein Thema. Schließlich hatte man weder Internet noch Handy, nur ein Vierteltelefon. Die gläserne Decke war dicker. Es gab keine Mädchenförderpläne und viel weniger Kinderbetreuung der öffentlichen Hand. Reisen per Interrail-(Bahn-)Ticket durch Europa war angesagt (und die große Freiheit), Fliegen noch ein teures Privileg.
Eine Sorge der jetzt Jungen gilt zu Recht der Desinformation in den Sozialen Medien. Was dagegen hilft? Lesen. Seriöse Medien. Waches Interesse an der Politik. Gott sei Dank zieht es auch Junge in die Politik. Eine Erfolgsgarantie ist das aber fürwahr nicht. Siehe Lena Schilling, die sich zu EU-Wahlkampfbeginn noch als „Gegenbild zu den vielen alten Männern“ hochstilisiert hat – und jetzt ganz alt ausschaut.

KURIER-Chefredakteurin Martina Salomon
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