Mehr Macht für den Kanzler

ÖVP-Chef und Bundeskanzler Karl Nehammer
Es war bei einer Wahlveranstaltung der ÖVP im Jahr 2017, als der damals frisch gebackene Parteichef Sebastian Kurz mehr Macht für das Bundeskanzleramt forderte. Konkret wollte er eine Richtlinienkompetenz gegenüber den Ministern ähnlich jener in Deutschland. Der Plan wurde wieder rasch fallengelassen, weil Kurz dafür nicht die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament erhalten hätte. Vehement dagegen war damals auch die SPÖ, obwohl deren Ex-Kanzler Werner Faymann und Alfred Gusenbauer davor ein ähnliches Ansinnen umsetzen wollten. Damals hatte sich übrigens die ÖVP dagegen positioniert.
Nach Sebastian Kurz gab es keinen prominenten Politiker mehr, der das Thema aufgegriffen hat. Dabei wäre gerade jetzt die Zeit gekommen, wieder ernsthaft darüber zu diskutieren. Das blamable Schauspiel rund um das EU-Renaturierungsgesetz schreit nach einer Änderung der Spielregeln in der Regierung. Dass sich ein Bundeskanzler dagegen ausspricht, seine Ministerin aber auf EU-Ebene ihre Hand für das Gesetz hebt, mag formal möglich sein, es darf aber dennoch nicht passieren.
In Brüssel jedenfalls hat sich Österreich damit lächerlich gemacht. Und die grüne Leonore Gewessler hat ihren türkisen Regierungschef Karl Nehammer in gewisser Weise bloßgestellt. In Österreich konnte nur dadurch ein vorzeitiges Ende der Koalition verhindert werden, dass der Wahltermin am 29. September bereits fixiert ist.
Jetzt ist so eine Richtlinienkompetenz nicht einmal im Ansatz der Schlüssel für einen autokratisch agierenden Regierungschef. Auch wenn so mancher Gegner der Idee sofort diesen Begriff in die Waagschale wirft.
Es geht auch nicht um ein Hineinregieren in die Kompetenzen der Minister. Aber es geht um Grundlinien einer Regierungspolitik, es geht um gemeinsame Vorgaben. Da müsste ein Kanzler bzw. eine Kanzlerin eine Sonderstellung bekommen, die die Verfassung derzeit nicht vorsieht.
Wobei sofort angemerkt werden muss, dass diese Kompetenz ja nur so weit ausgelebt werden kann, so weit es die Koalitionsparteien zulassen, ohne dass es zu einem Bruch kommt. Andererseits würden Konflikte wie jener rund um das EU-Renaturierungsgesetz dann vielleicht intern ausgetragen und geklärt – und nicht auf offener Bühne in Brüssel.
In Deutschland ist die Richtlinienkompetenz bisher kaum angewendet worden. Nach Konrad Adenauer war es 2022 erst SPD-Kanzler Olaf Scholz, der bei der Debatte über den Weiterbetrieb von Atomkraftwerken davon Gebrauch machte. Als Chef einer schwierigen Dreier-Koalition. Das spricht dafür, dass die Rolle des Kanzlers auch in Österreich aufgewertet wird. Es ist ja sehr wahrscheinlich, dass auch wir nach der Nationalratswahl erstmalig von einer Dreier-Koalition regiert werden.
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