Aus für VWA: Ein sinnvoller Schritt zurück

Mann öffnet Kuvert mit Fragebögen vor Schulklasse
Die geplante Abschaffung der verpflichtenden VWA an den AHS ist angesichts der Situation an den Schulen durchaus nachvollziehbar.
Rudolf Mitlöhner

Rudolf Mitlöhner

Kapitulation vor der Künstlichen Intelligenz (KI), lautete die Kritik. Auch eine Kapitulation vor der Lehrergewerkschaft wurde unterstellt. Anlass: die von Bildungsminister Martin Polaschek in Aussicht gestellte Abschaffung der verpflichtenden Vorwissenschaftlichen Arbeit (VWA) als Teil der AHS-Matura.

Nun kann man sich tatsächlich wundern, dass etwas, das erst 2012 mit großem Nachdruck eingeführt wurde, wieder gecancelt werden soll. Und auch das nur halbherzig, denn als Option soll die VWA ja bestehen bleiben. Aber andererseits haben sich in diesen nicht einmal anderthalb Jahrzehnten die Dinge in Sachen Digitalisierung in einem ungeahnten Ausmaß verändert.

Angesichts der Möglichkeiten, welche ChatGPT & Co. bereithält, stellt sich die Frage nach Authentizität eines Textes noch einmal in ganz anderer, radikalerer Weise. Das zugrunde liegende Problem des Verhältnisses von Original und Kopie begleitet uns freilich schon seit geraumer Zeit entsprechend dem jeweiligen Stand der technischen Entwicklung. Wenn man den ganz großen Bogen spannen will, kann man hier auch auf den bereits 1935(!) verfassten Aufsatz von Walter Benjamin über „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ verweisen.

Den Herausforderungen, die sich durch die KI stellen, entkommt man jedenfalls nicht, wenn man die VWA abschafft. Die Fähigkeit, eigenständige Texte zu verfassen, wird auch künftig essenziell für viele Ausbildungen und berufliche Tätigkeiten sein. Und es wird auch notwendig sein, Kriterien für die Definition von „eigenständig“ zu entwickeln. Die Zuhilfenahme von KI per se ist ja nichts Verwerfliches.

Richtig ist aber, dass der Aufwand der Betreuung von VWAs in Zeiten von KI noch deutlich höher wird, als er es ohnehin schon war. Und dies angesichts eines dramatischen Lehrermangels, eines zunehmend aus den Fugen geratenden Systems Schule, in dem sich wie unter einem Brennglas prekäre gesellschaftliche Entwicklungen bündeln. Dieses System ist durch eine Unzahl an – teils legitimen, sinnvollen (Stichwort: Schulprofil, Angebotsvielfalt etc.) – Erwartungen überfordert und überdehnt, der „normale“ Regelunterricht immer schwieriger durchführbar. Darauf noch so etwas wie eine VWA aufzupfropfen, kann man durchaus als Zumutung empfinden (für Direktoren sind das zig Arbeiten von bis zu 60.000 Zeichen, die sie eigentlich lesen müssten).

Dazu kommt noch, dass auch ganz ohne KI die VWA in vielen Fällen eine Inanspruchnahme der natürlichen Intelligenz von Eltern oder sonst wie beigezogenen Personen bedeutet. Beispiele von brillanten VWAs notorisch leistungsschwacher Schüler kennt wohl jeder Lehrer …

Alles in allem also genügend Gründe, hier einen Schritt zurück zu tun – und zu überlegen, wie man in der Schule mit KI angemessen umgeht.

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