"Es gibt nicht nur die ewig Gestrigen, es gibt auch die ewig Morgigen“, schreibt Erich Kästner. Beide bestimmen heute das Geschehen, sind auch Teil der „Pattsituation“, wie Staatsoberhaupt Alexander Van der Bellen die Ausgangslage nach der Wahl nennt.
Warum es erst jetzt „wichtig ist, sich mit den Sorgen der Österreicherinnen und Österreicher auseinanderzusetzen“, wie ÖVP-Chef Karl Nehammer in einem Video sagt, ist bemerkenswert. Bemerkenswert deshalb, weil Nehammer seit bald drei Jahren Kanzler ist, die Chance hat(te), sich der Sorgen anzunehmen und sie der Bevölkerung zu nehmen. Stattdessen sorgen sich immer mehr Menschen um den Staatshaushalt. Denn – auch das gehört zum Bemerkenswerten – das Budgetdefizit ist größer als es die türkis-grüne Koalition ausgerechnet bis zum Wahltag vorgerechnet hat.
Stattdessen müssen sich die ÖVP – allen voran ÖVP-Finanzminister Magnus Brunner – und die Grünen (zuvorderst Vizekanzler und Volkswirt Werner Kogler), den Vorwurf gefallen lassen, mit der Wahrheit hinterm Berg gehalten zu haben. Doch der Tag der Abrechnung folgt.
Erst durch Fiskalrat wie Wirtschaftsforschungsinstitute, die für heuer ein Defizit von 3,7 % statt unter 3 % entsprechend der Maastricht-Kriterien und für 2025 gar von 4 % errechnen. Zahltag ist auch, weil nach der Nationalratswahl vor der heutigen Landtagswahl in Vorarlberg ist und den folgenden in der Steiermark (24.11.) und dem Burgenland (19.1.).
Die am Dienstag beginnenden Gespräche zwischen FPÖ, ÖVP und SPÖ starten unter denkbar schwierigen Vorzeichen – wirtschaftlichen nämlich. Und sie werden mit einem Glaubwürdigkeitsverlust für alle einhergehen, denn: FPÖ und SPÖ können der ÖVP vorhalten, sie wollte bis vor Kurzem den wirtschaftlichen „Kuchen größer backen“. Davon ist keine Rede mehr.
Die Neos warben vor der Wahl für einen schlankeren Staat – doch der wird auch wegen der Rezession so schnell nicht zu machen sein. So wie das pinke wie blaue wieder erfundene „Aufstiegsversprechen“ – wenn überhaupt – erst in Jahren erfüllbar sein wird. Den Grünen geht der Klimabonus verloren und niemand denkt an neue Steuern, außer sie und die SPÖ.
Die ÖVP will, „koste es, was es wolle“, ohne Kickl Kanzlerpartei bleiben, die SPÖ mit einem als geschwächt wahrgenommenen Andreas Babler wieder in der Regierung erstarken. Die Neos sehen nach elf Jahren Opposition das einmalige Zeitfenster gekommen, die Seiten zu wechseln. Die grüne Partei rechnet sich Chancen aus, bleiben zu können, und die FPÖ im Zweifel damit, dass eine Dreier-Koalition keine 5 Jahre halten wird.
Es bleibt nicht viel Zeit, denn die nächsten Prognosen kommen – wie das nächste Wahlergebnis am Sonntag und damit das Erwachen, das einer Ernüchterung gleicht und neuerdings „Rendezvous mit der Realität“ genannt wird.
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