FPÖ-Chef Herbert Kickl ist vor dem Gipfel gescheitert

FPÖ-Chef Herbert Kickl ist vor dem Gipfel gescheitert
Eine toxische Mischung aus Überschätzung, Misstrauen und Rachegelüsten machte die historische Chance der FPÖ zunichte, den Kanzler zu stellen.
Josef Gebhard

Josef Gebhard

Jene Touren, die erst kurz vor dem Gipfel scheitern, gehören zu den bittersten Erfahrungen eines Bergsteigers. Kaum einem wird das bewusster sein als dem passionierten Kletterer Herbert Kickl. 

Der FPÖ-Chef hat knapp vor dem Ziel die historische Chance verpasst, erster freiheitlicher Bundeskanzler zu werden.

Dabei schienen zunächst die letzten Meter keine große Herausforderung mehr zu sein. Mit einem fulminanten Wahlsieg im Rücken und mit Mitbewerbern konfrontiert, die außerstande waren, eine Koalition gegen die FPÖ zu schmieden, standen die Chancen gut, eine solche mit einer schwer angeschlagenen ÖVP zustande zu bringen. Zumal die Türkisen von Wirtschaft bis Migration in vielen Kernthemen ähnliche Positionen vertreten. Und tatsächlich schafften es die beiden, in bemerkenswerter Schnelle einen Plan zur Konsolidierung der Finanzen für die nächsten zwölf Monate vorzulegen.

Schlammschlacht

Doch der Schein trog: Letztlich war es – wie typisch österreichisch – der schnöde Streit um Postenbesetzungen, der die vermeintlich glatten Verhandlungen aus dem Ruder laufen ließ. Bis hin zu einer Schlammschlacht, wie sie die Republik bei Koalitionsverhandlungen noch nicht gesehen hat. Unter kräftiger Beteiligung eines Herbert Kickl, der zu Beginn noch auf diskrete Gespräche „ohne Spielchen und Tricks“ gepocht hatte. 

Doch eine toxische Mischung aus Überschätzung, Misstrauen und alten Rachegelüsten – materialisiert im erbitterten Kampf um das prestigeträchtige Innenministerium – sollte letztlich die Oberhand gewinnen über kühle Berechnung und Strategie, die Kickl in den vergangenen Jahren so gerne zugeschrieben wurden.

Zurück bleibt auch eine ÖVP, die bitter dafür abgestraft wurde, dass sie von ihrem eigenen Wahlkampf-Credo vom „Sicherheitsrisiko“ Kickl abrückte und doch eine Koalition mit der FPÖ anstrebte. Und ein Land, das in schwierigsten wirtschaftlichen Verhältnissen immer noch ohne handlungsfähige Regierung dasteht.

Wie geht es weiter? Gut möglich, dass es der blauen Propagandamaschine gelingt, das eigene Scheitern allein der ÖVP und den anderen Kräften des „Systems“ in die Schuhe zu schieben. Gut möglich, dass das reicht, um bei Neuwahlen den Vorsprung der FPÖ noch weiter auszubauen. Schwer vorstellbar hingegen, dass sich nach dem verstörenden Schauspiel der vergangenen Tage in absehbarer Zeit noch irgendjemand findet, der mit der FPÖ koalieren will.

Das dürfte auch für Kickl selbst nicht ohne Folgen bleiben. Nicht wenige Funktionäre hatten bei seiner Bestellung 2021 Bedenken, ob er aufgrund seines radikalen Auftretens (allem voran in der Corona-Frage) der richtige Parteichef ist. Sie dürften sich künftig wieder lauter zu Wort melden.

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