Blau-Türkis: Chronologie eines Nervenkrieges

Am Mittwoch um 14.51 Uhr machte Herbert Kickl offiziell, was spätestens seit gestern viele vermuteten: Der FPÖ-Chef legt seinen Auftrag zur Regierungsbildung zurück, die blau-türkisen Verhandlungen sind damit gescheitert.
Was bisher geschah:
- 29. September 2024
Nationalratswahl: Die FPÖ wird erstmals stärkste Partei im Parlament. Sie erreicht 28,8 Prozent der Stimmen (57 Mandate), die ÖVP 26,3 (51), die SPÖ 21,1 (41), die NEOS 9,1 (18) und die Grünen 8,2 Prozent (16). Als Zweier-Koalitionen kommen nur FPÖ-ÖVP, FPÖ-SPÖ sowie - mit äußerst knapper Mehrheit - ÖVP-SPÖ in Frage.
- 1.Oktober
ÖVP-Chef und Bundeskanzler Karl Nehammer spricht sich dafür aus, dass FPÖ-Obmann Herbert Kickl von Bundespräsident Alexander Van der Bellen mit Sondierungen beauftragt wird.
- 2. Oktober
Die türkis-grüne Regierung bietet dem Bundespräsidenten den Rücktritt an, er betraut sie mit der Fortführung der Geschäfte. Einzig Kunst- und Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer (Grüne) gibt ihren Posten auf eigenen Wunsch bereits ab.
- 4. Oktober
Van der Bellen beginnt die erste Gesprächsrunde mit den fünf Parlamentsparteien. Als erster wird Kickl in der Präsidentschaftskanzlei empfangen. Dabei teilt er dem Bundespräsidenten seinen Willen zum Regieren mit, wie er am folgenden Tag in einer Pressekonferenz berichtet.
- 9. Oktober
Van der Bellen erteilt nach der ersten Gesprächsrunde vorerst keinen Regierungsbildungsauftrag und fordert die Chefs der stimmenstärksten Parteien FPÖ, ÖVP und SPÖ auf, "zu klären, welche Zusammenarbeit vorstellbar wäre", um die "Pattsituation" zu lösen.
- 15. Oktober
Kickl und Nehammer kommen zu einem Gespräch zusammen. Nehammer bleibt dabei, dass er eine Koalition mit der FPÖ unter Kickl ausschließt.
- 18. Oktober
Kickl und Andreas Babler (SPÖ) kommen zu einem Gespräch zusammen. Auch der SPÖ-Chef schließt erneut jede Zusammenarbeit mit der FPÖ aus.
- 22. Oktober
Nach einer zweiten Gesprächsrunde erteilt Van der Bellen Nehammer den Auftrag zur Regierungsbildung und ersucht ihn, umgehend Verhandlungen mit der SPÖ aufzunehmen und zu klären, ob es einen dritten Partner braucht.
- 24. Oktober
Konstituierende Sitzung des Nationalrats mit der Wahl von Walter Rosenkranz (FPÖ) zum Nationalratspräsidenten.
- 25. Oktober
Start der Sondierungsgespräche zwischen ÖVP und SPÖ
- 12. November
Nach der vierten Sondierungsrunde laden ÖVP und SPÖ die NEOS ein, als dritter Partner am Gesprächstisch Platz zu nehmen. Am folgenden Tag beginnen die Sondierungen zu dritt.
- 18. November
Nehammer, Babler und Beate Meinl-Reisinger (NEOS) kündigen die Aufnahme offizieller Koalitionsverhandlungen an.
- 21. November
Die Koalitionsverhandlungen in sieben Hauptclustern und 33 Untergruppen starten.
- 26. November
Der Gehaltsabschluss der öffentlich Bediensteten sorgt für den ersten Zwist zwischen ÖVP, SPÖ und NEOS. Die pinken Verhandler fordern ein klärendes Gespräch, das am folgenden Tag stattfindet.
- 2. Dezember
Die angespannte Budgetsituation belastet das Koalitionsklima. Die SPÖ droht mit einer Pause der Koalitionsgespräche, sollte es keinen "Kassasturz" geben.
- 13. Dezember
Die Untergruppen schließen ihre Arbeit ab.
- 16. Dezember
Von der EU-Kommission werden die vier möglichen Konsolidierungspfade vorgelegt: Innerhalb von vier oder sieben Jahren muss Österreich zwischen 18 und 24 Milliarden Euro einsparen.
- 3. Jänner 2025
Meinl-Reisinger erklärt den Ausstieg der NEOS aus den Koalitionsverhandlungen. Sie vermisst die Bereitschaft zu grundsätzlichen Reformen seitens ÖVP und SPÖ. ÖVP und SPÖ wollen dennoch weiterverhandeln.
- 4. Jänner
Nehammer bricht die Gespräche mit der SPÖ ab und kündigt seinen Rücktritt als Kanzler und ÖVP-Chef an.
- 5. Jänner
Nehammer legt den Regierungsbildungsauftrag zurück. Die ÖVP hat mit Christian Stocker einen neuen geschäftsführenden Parteichef. Er betont, ein allfälliges Gesprächsangebot der FPÖ zu Koalitionsverhandlungen annehmen zu wollen.
- 6. Jänner
Nach einem rund einstündigen, von Protesten begleiteten Gespräch zwischen Bundespräsident Van der Bellen und FPÖ-Chef Kickl teilt das Staatsoberhaupt mit, dem Freiheitlichen den Auftrag zur Regierungsbildung erteilt zu haben. Er habe sich diesen Schritt nicht leicht gemacht, sagt Van der Bellen.
- 7. Jänner
FPÖ-Chef Kickl lädt die Volkspartei zu Verhandlungen ein.
- 8. Jänner
Stocker erklärt, das FPÖ-Angebot für Verhandlungen annehmen zu wollen. Am Abend kommen Kickl und Stocker zu einem ersten Gespräch zusammen, dabei wird die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen beschlossen.
- 9. Jänner
Mehrere Zehntausend Menschen demonstrieren am Wiener Ballhausplatz gegen eine Regierungsbeteiligung der FPÖ, auch in anderen Landeshauptstädten wie Graz, Salzburg und Innsbruck wird protestiert.
- 10. Jänner
Bundespräsident Alexander Van der Bellen betraut Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) mit dem Vorsitz der Regierung. FPÖ und ÖVP nehmen Koalitionsverhandlungen auf.
- 13. Jänner
FPÖ und ÖVP verkünden eine Einigung auf einen gemeinsamen Budget-Pfad, der nach Brüssel übermittelt wird, um ein Defizitverfahren zu vermeiden.
- 14. Jänner
Für Befremden bei der ÖVP sorgen eine heimlich mitgeschnittene Aufnahme von Stammtisch-Aussagen der FPÖ-Nationalratsabgeordneten Harald Stefan und Markus Tschank über die Volkspartei sowie die EU.
- 16. Jänner
Die blau-schwarzen Koalitionsverhandler stellen Details des geplanten Sparpakets in Höhe von rund 6,4 Mrd. Euro vor.
- 17. Jänner
Die EU-Kommission erklärt, nach Prüfung der Maßnahmen aktuell kein Defizitverfahren gegen Österreich einzuleiten.
- 20. Jänner
Die thematischen Untergruppen nehmen ihre Arbeit auf.
- 25. Jänner
Für Verstimmungen bei der FPÖ sorgen Aussagen von ÖVP-Chef Stocker, der in einem medialen Hintergrundgespräch eine Kurskorrektur von den Freiheitlichen forderte. Für weiteren Zündstoff sorgt die von der FPÖ eingebrachte Forderung nach einer Bankenabgabe.
- 5. Februar
Die Regierungsbildung ist mit 129 Tagen die längste in der Geschichte der Zweiten Republik. So lange dauerte die Regierungsbildung nur nach der Nationalratswahl 1962 - damals wurde nach 129 Tagen eine neue Regierung angelobt.
- 6. Februar
Die nach heftigeren Differenzen unterbrochenen Koalitionsverhandlungen werden wieder aufgenommen, geben Kickl und Stocker bekannt. Zuvor waren beide bei Van der Bellen. Hauptstreitpunkt war die Ressortverteilung.
- 9. Februar
Die Differenzen sind weiter groß, geht aus durchgesickerten Unterlagen der Verhandler hervor. Dafür kommt man sich angeblich bei der Ressortverteilung näher. Gestritten wird weiter um das Innenministerium.
- 10. Februar
Zeichen der Annäherung bleiben auch nach einem abendlichen Treffen von Kickl und Stocker aus.
- 11. Februar
Die Vorzeichen eines Platzens verdichten sich. Nach scharfen Tönen aus den Reihen der ÖVP und Terminen beider Parteichefs beim Bundespräsidenten heißt es jedoch, die Verhandlungen seien weiter aufrecht.
- 12. Februar
Herbert Kickl legt bei Bundespräsident Van der Bellen den Regierungsbildungsauftrag zurück. Davor hatten sich FPÖ und ÖVP über die Medien neben weiteren Unfreundlichkeiten noch neue Vorschläge für die Verteilung der Ressorts ausgerichtet.
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