Es darf schon daran erinnert werden, dass der politische Aktivist und Journalist mit seiner Plattform seit 2010 mehr als 700.000 geheime Dokumente veröffentlicht hat. Einige sollen Kriegsverbrechen im Irak belegen. Eine Mehrheit enthielt diplomatische Korrespondenzen und politische Analysen/Einschätzungen/Pläne, nebst ein paar Peinlichkeiten aus dem Politiker-Small talk. Mit der Veröffentlichung von Hillary Clintons Mails (vermutlich besorgt durch den russischen GRU) griff Assange auch in den US-Wahlkampf 2016 ein.
Das führt zur Frage: Darf man das Gesetz verletzen, um eine angebliche Gesetzesverletzung zu enthüllen? Wer ist die Instanz, die dazu ermächtigt, Kollateralschaden wie Quellengefährdung und weltpolitische Beben inklusive – jeder selbst? Hat ein Verbrechen gegen ein mutmaßliches Verbrechen irgend etwas mit Pressefreiheit zu tun?
Wer diese drei Fragen mit „Ja“ beantwort, öffnet Tür und Tor einem Desperado-Unwesen, einer Justiz von eigenen Gnaden, einem Verrat nach Gutdünken – und letztlich rechtsfreier Anarchie, im Namen des Guten, versteht sich ...
Apropos: Die Anhänger Assanges, die seit eineinhalb Jahrzehnten für ihre Ikone kämpfen und seine Freilassung fordern, haben sich diese Fragen nie gestellt. Sie haben in Assange eine Leitfigur gefunden, mit der gegen die USA, Großbritannien, den Westen, das Böse gekämpft werden kann – ein früher „Palästinenser“, sozusagen: Auch die weltumspannenden Demos gegen Israel, der Ruf nach einem Palästinenserstaat sind vielfach bloß Transport für eine holzschnittartige Ideologie.
Die WikiLeaks-Verfechter jubeln nach Freilassung ihres 52-jährigen Helden über den Erfolg ihrer Kampagne. Das ist er auch. Vor allem aber ist die Freilassung das Ergebnis einer Nachsicht mit Augenmaß. Jawohl, endlich und Gott sei Dank. Aber nicht, weil Julian Assange im Recht gewesen wäre.
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