Gegen China und die USA: Die EU-Strategie funktioniert nicht mehr

SPD reactions after elections for EU Parliament, in Berlin
Das bewährte Hin und Her in der EU, das irgendwann in einem Kompromiss endet, hält globalen Herausforderungen nicht mehr stand.
Konrad Kramar

Konrad Kramar

Sie sind traditionell Teil der politischen Folklore in Brüssel: Jene Nachtschichten der Staats- und Regierungschefs, an deren Ende ein Kompromiss steht, mit dem man sich weiterhanteln kann – zumindest bis zum nächsten nächtlichen Kompromiss. Oft gilt diese Art der mühseligen Entscheidungsfindung sogar als Qualitätsmerkmal der EU und ihrer demokratischen Verfasstheit. Europa komme eben langsam, aber doch stetig voran.

Man kann das als charmante Eigenheit oder als politische Ausrede empfinden – den globalen Herausforderungen, wie sie uns in diesen Tagen aufgetischt werden, hält diese Strategie nicht stand.

Die Mit- oder vielmehr Gegenspieler sind mit höherem Einsatz unterwegs. Die USA wollten ihre oft veraltete Industrie wettbewerbsfähig machen – und das mit Hilfe internationaler Investitionen. Also legten sie mit dem „Inflation Reduction Act“ ein milliardenschweres Hilfspaket auf den Tisch, das sich zum Magneten für Industrieansiedlungen erweist. Auch europäische Firmen folgen dem großen Geld und den oft recht lockeren Regeln über den Atlantik. China hat mit Russland einen willfährigen Energielieferanten an der Hand und nützt seine gut gefüllte Staatskasse, um die Warenexporte in den Westen anzukurbeln.

Die USA reagierten mit rigorosen Strafzöllen auf chinesische Waren, die EU, die China auch als Markt braucht, versucht es mit niedrigeren Zöllen und viel Vorsicht. Den Siegeszug der Chinesen hat das nicht aufhalten können – und wird es auch weiter nicht tun. Europas grüne Wende ist ohne Solarzellen aus China gar nicht mehr machbar.

Man schiebt auch auf diesem Kontinent Fördergelder einmal hierher und einmal dorthin, dreht an der Strafzollschraube, bemüht, niemanden nur allzu sehr zu verärgern. Man erklärt die Klimawende zum großen Ziel und sendet zugleich verwirrende Signale an die eigene Industrie, die doch noch ein bisschen länger Verbrennungsmotoren bauen soll – aber zugleich auch ganz viele Elektroautos.

Mag sein, dass die USA mit ihrer Blockadepolitik gegen China falsch liegen und auch mit ihrem Füllhorn an Industrie-Subventionen. Mag sein, dass China längst zu viele Solarzellen baut und die jetzt billig loswerden muss. In beiden Fällen aber haben Entscheidungsträger einen klaren Weg eingeschlagen – und Europas Entscheidungsträger werden sich nicht mehr lange um ebenso klare Antworten drücken können. Klare Antworten, wie sie auch andere große Herausforderungen wie Migration oder Putins Angriffskrieg verlangen. Bei allen Warnungen vor einem Triumph rechter EU-Feinde: Die Europäer haben sich bei diesen Wahlen trotzdem klar für das gemeinsame Europa entschieden – und dieses gemeinsame Europa braucht jetzt eine politische Führung, die ebenso klar entscheidet.

Kommentare