Die Palette reichte rasch von „Russland hat den Anschlag selbst inszeniert“ bis zu „die Ukraine war es“. Der Kampf um den Informationsraum tobte, während Familienangehörige panisch herauszufinden versuchten, ob ihre Liebsten unter den Opfern waren.
Dass ukrainische Familien Tag für Tag bangen müssen, ob ihre Angehörigen nicht bei einem russischen Drohnen- oder Raketenangriff ums Leben kommen, ist ebenso bittere Realität wie jene, dass ein Terrorangriff auf ein Konzertgebäude mehr Aufmerksamkeit bekommt als der mittlerweile zur Gewohnheit gewordene, nicht minder terroristische Xte russische Luftangriff auf die zivile Infrastruktur der Ukraine mit mindestens fünf Toten, zerstörten Kraftwerken und Wohngebäuden.
Und dennoch ist es falsch, das Leid jener Menschen zu ignorieren, die den Terroranschlag von Moskau überlebten. Vom Hamas-Massaker am 7. Oktober über die blutigen Anschläge im Pariser Bataclan bis zum Angriff am Freitag – Terrorismus ist die feigste Form des Kampfes gegen eine Gesellschaft. Er macht sie verwundbar, traumatisiert sie – und lässt sie nach Rache dürsten.
Genau das wird Putin zu lenken wissen – unabhängig davon, wer diesen Terroranschlag zu verantworten hat. Nach den Anschlägen im Moskauer Dubrowka-Theater im Jahr 2002 und in einer Schule in Beslan zwei Jahre später ließ er sich von der Duma mit weitreichenden Befugnissen ausstatten. Er werde „die Terroristen am Scheißhaus erledigen“, sagte er 1999 und gewann dadurch stark an Popularität.
Putin wird sich auch jetzt als starker Mann präsentieren und Vergeltung üben – gegen wen auch immer es ihm passt. Vieles deutet darauf hin, dass die Terrormiliz „Islamischer Staat“ hinter dem Anschlag vom Freitag steckt. Genauer gesagt, ihr Ableger in Afghanistan, der sich aus vielen Terroristen aus Ex-Sowjetrepubliken zusammensetzt. Selbst die US-Botschaft in Moskau warnte unlängst vor einem möglichen Terrorangriff – eine Warnung, die Putin zynisch in den Wind schlug.
Für die Terroristen sei ein Übertritt über die ukrainische Grenze vorbereitet worden, sagte er am Samstag – und machte damit klar, an wen sich die Vergeltung richten wird. Das Narrativ der „ukrainischen Nazis“, unterstützt vom „woken Westen“, die mit den Islamisten zusammenarbeiten würden, wird in den kommenden Wochen noch stärker in den russischen Medien propagiert werden – und einer traumatisierten Gesellschaft ein noch deutlicheres Feindbild geben.
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