Das Machtmatch hat begonnen

„Das Gefährlichste an einer Partei, die an der Regierung ist, ist Selbstgefälligkeit.“ Der Satz stammt von jenem Mann, der von 1970 bis 1983 Österreich regierte, zwölf Jahre davon mit absoluter Mehrheit. Die knappe Ansprache von Bundeskanzler Karl Nehammer drei Stunden nach Alexander Van der Bellens Rede erinnert sinnbildlich an Bruno Kreiskys Satz. Denn: Kaum ist der Regierungsbildungsauftrag erteilt, steht der Regierungschef der türkis-grünen Koalition nicht wie seit der Nationalratswahl in der Parteizentrale in der Lichtenfelsgasse vor dem ÖVP-Logo, um über die (Patt-)Situation zu sprechen, sondern vor dem Schriftzug des Bundeskanzleramts, um über eine Koalition von drei Parteien zu sprechen.
Es geht um Symbolkraft, die Macht der Bilder und um jene der Worte. Das Machtmatch – auch um die Deutungshoheit der Geschehnisse – ist eröffnet.
Hier der Wahlverlierer und amtierende Kanzler, der eine Regierung bilden soll – da der Wahlgewinner und selbst ernannte „Volkskanzler“, der einen „Schlag ins Gesicht“ seiner Wähler ortet und mit dem sich niemand an einen Verhandlungstisch setzen will. Eben dort nehmen bald ÖVP und SPÖ Platz. Beide wollen „kein Weiter wie bisher“, wie sie betonen. Ein „Wie bisher zu zweit“ geht denn auch nicht, will man auf eine stabile Mehrheit bauen.
So stellt der Regierungsbildungsbeauftragte auch gleich in Aussicht, es werde nur zu dritt gehen. Was aber, wenn die Neos vom Tisch aufstehen, weil sie sich nicht über selbigen ziehen lassen wollen?
Und wie sich die kommenden Tage, Wochen, Monate und den Rückhalt Nehammers in der Volkspartei vorstellen, wenn der ÖVP-Landeshauptmann der Steiermark Christopher Drexler sich sofort gegen den ÖVP-Regierungsbildungsauftrag ausspricht, weil er seine Landtagswahl (24. 11.) gefährdet sieht? Und was, wenn auf Drexler andere folgen wie vor Jahreswechsel beispielsweise die einzige ÖVP-Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner wegen der Gemeinderatswahlen in ihrem schwarz-blau regierten Niederösterreich?
Und wie kann man sich am türkis-rot-pinken Verhandlertisch den kleinsten gemeinsamen Nenner vorstellen, wenn alle neuerdings das halten, was sie versprochen haben? Welche Schnittmenge ergibt sich aus dem Vollzeit-Mantra der ÖVP mit dem roten Vier-Tage-Woche-Versprechen? Welche zwischen „keine neuen Steuern“ (ÖVP), „vermögensbezogene Steuern“ (SPÖ) und „runter mit den Steuern“ (Neos)?
Und wie verhält es sich mit der Tradition, dass die stimmenstärkste Fraktion den Nationalratspräsidenten stellt?
Das heutige Abstimmungsverhalten über den ersten Freiheitlichen an der Spitze des Präsidiums, Walter Rosenkranz, wird Aufschluss über die neuen Machtverhältnisse geben. Und das ist erst der Anfang.
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