Wer aller heilig ist

Wer aller heilig ist
Was uns die Auseinandersetzung mit dem Tod lehren kann und warum Allerheiligen ein kirchliches Fest der Freude ist.
Rudolf Mitlöhner

Rudolf Mitlöhner

Bilder von Tod und Sterben sind allgegenwärtig – Opfer von Kriegen, Terror, Umweltkatastrophen auf allen Kanälen und Plattformen, rund um die Uhr. Die mediale Überflutung hat auch etwas Nivellierendes, Relativierendes: Der Schrecken wird eingeebnet – Folge eines Selbstschutzmechanismus des Menschen. Bewegen können Einzelschicksale, die „ein Gesicht“ haben. Oder natürlich Fälle aus unserem unmittelbaren Lebensumfeld: Da sind dann mit dem Gesicht auch Erinnerungen, Erfahrungen – im engsten privaten Kreis auch gemeinsam Erstrebtes, Erreichtes, Durchlittenes verbunden.

Und der eigene Tod? Liegt einerseits wie ein Schatten über unserem Dasein – aber gleichzeitig haben wir, auch das ein Selbstschutzmechanismus, ganz gut mit diesem Schatten leben gelernt. Erst wenn er unausweichlich an uns herantritt, sehen wir ihm ins Auge. Freilich, was sollten wir anders tun, als uns im Zeichen unserer Endlichkeit so gut es geht einzurichten? Ohne diese Endlichkeit verlöre das Leben jede Dringlichkeit, durch die unsere Existenz erst Konturen gewinnt. Die Vorstellung einer alterslosen unendlichen Seinsweise ist mindestens so beklemmend wie das Wissen um die Unausweichlichkeit des Todes.

Letzteres Wissen tritt traditionell in diesen Tagen verstärkt ins allgemeine Bewusstsein. Rund um Allerheiligen/Allerseelen besuchen viele Menschen die Friedhöfe, um die Gräber ihrer Liebsten zu schmücken und dort im stillen Gedenken zu verharren. Wobei die katholische Kirche dem eigentlichen Tag des Totengedenkens, Allerseelen, ein Fest der Freude und der österlichen Hoffnung, Allerheiligen, voranstellt. Beide Tage sind faktisch zu einer Einheit verschmolzen – in der Realität überlagert Allerseelen Allerheiligen, kirchlich-theologisch betrachtet lässt sich freilich Allerseelen erst von Allerheiligen her begreifen.

Dass diese Heiligen nicht unbedingt dem Bild entsprechen müssen, wie wir es aus den figürlichen Darstellungen in unseren Kirchen kennen, zeigt exemplarisch Carlo Acutis: Der 2006 mit nur 15 Jahren an Leukämie verstorbene Digitalfreak („Cyber-Apostel“) wurde bereits selig- und soll demnächst auch heiliggesprochen werden. Die Bilder des in einem mit Glasfront ausgestatteten Sarg liegenden Jugendlichen in Jeans, Sneakers und Sweater gingen um die Welt. Auch daran gab und gibt es Kritik. Aber es macht deutlich, worum es geht: „Heiligkeit“ ist keine Sache früherer Jahrhunderte, für Menschen in prächtigen Gewändern mit teils für uns Heutige befremdlich anmutenden Biografien, sondern ein kirchlich geprägtes Synonym für ein gelungenes, geglücktes Leben. Etwas, das wir letztlich für „alle Seelen“ erhoffen.

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