Sinn für Theatralik kann man Ursula von der Leyen nicht absprechen: Die Vervollständigung der Union sei „lebenswichtig“ für die EU, sagte sie vergangene Woche, als sie die Tür zu Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine aufstieß; sie folge dem „Lauf der Geschichte“.
Die Sturheit, an einem Irrtum festzuhalten, kann sie auch nicht leugnen: Die Ukraine gehört nicht in die EU, nicht als kriegführendes Land, nicht davor und vermutlich auch nicht danach – Signal an Russland hin oder her.
Die Kommissionspräsidentin ist nicht zu beneiden. Als die wenig trittsichere vormalige deutsche Verteidigungsministerin ihr Amt antrat, war die Welt irgendwie noch in Ordnung. Dann kam das Virus aus China und legte Europa lahm. Wenig später kam Wladimir Putin über die Ukraine, und der Glaube an den ewigen Frieden in Europa war wie gelähmt. Es folgten Energiekrise und Teuerungskrise. Und nun starrt Europa sprachlos in den Nahen Osten, von wo aus sich nach der Mordorgie der Hamas der neue Antisemitismus ausbreitet.
Das alles trifft die Europäische Union in einer Phase ihrer Geschichte, die mit den Begriffen Umbruch und Orientierungslosigkeit nur unzureichend beschrieben ist. Ein Gravitationszentrum der Mächtigen gibt es nicht mehr – Großbritannien ist weg; die „Lokomotive“ Deutschland stottert wirtschaftlich wie vor allem führungspersonell; und von den Visionen für Europa, mit denen Emmanuel Macron alle Nasen lang vorprescht, ist vor allem Macron begeistert. Dafür hat der Nationalismus wieder Einzug gehalten im Hause Europa, nicht nur in Budapest, Warschau oder Bratislava. Und über allem lastet das Thema Migration, in dem Europa acht Jahre dilettiert hat.
Die erfassten Zuwanderungszahlen sind so hoch wie seit 2015 nicht mehr, die Dunkelziffer liegt darüber, und der Kontinent der Aufklärung und Toleranz verändert sich gerade spürbar, dramatisch und irreversibel. Von der geopolitischen Herausforderung durch China und der Ungewissheit USA (Trump II?) gar nicht zu reden.
Und was tut EU-Europa bzw. seine Chefin? Forciert die Erweiterung um die wirtschaftlich und korruptionstechnisch ungeeignete Ukraine, verprellt die im Wartezimmer der EU verhungernden Westbalkanstaaten, hat zur Türkei (Beitrittsgespräche auf Eis) gerade gar keine Meinung – und ist schon zu siebenundzwanzigst nicht wirklich handlungs- (siehe Asyl) und beschlussfähig. Den „Außenminister“ der EU, den Henry Kissinger gerne angerufen hätte, die eine Stimme, gibt es nicht (wie heißt der Außenbeauftragte noch gleich ...?). Die eine Strategie, mit all den Herausforderungen umzugehen, auch nicht.
Dabei wäre das, um mit von der Leyen zu sprechen, lebenswichtig – um nicht vom Lauf der Geschichte irgendwann in die Bedeutungslosigkeit gestoßen zu werden.
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