Lueger war gewiss einer der bedeutendsten Wiener Bürgermeister – und er war glühender Antisemit. Solche Diskrepanzen finden wir indes bei vielen Großen – aus dem Bereich der Musik fiele einem etwa sofort Richard Wagner ein. Aber es gibt ja neben Antisemitismus auch andere moralisch absolut verwerfliche Haltungen. Wären diese, und auch sonst alle Einstellungen, die uns aus heutiger Sicht problematisch erscheinen, dunkle Flecken in der Biografie ein Kriterium für den Sturz von Denkmälern – die historischen Plätze der Städte sähen anders aus.
Dankenswerterweise hat sich der in diesen Fragen ideologisch unverdächtige Historiker Oliver Rathkolb jüngst zu Wort gemeldet und vor „Cancel Culture“ gewarnt: Das Denkmal „einfach zu entsorgen“, wäre „das falsche Signal“, Lueger müsse „Teil unserer Geschichte bleiben“, erklärte er gegenüber orf.at. Und die bis Ende des Vormonats amtierende Direktorin des Jüdischen Museums Wien, Danielle Spera, sagte in der Presse: „Man kann und soll die Geschichte nicht auslöschen“; und sie wies darauf hin, es gebe noch „andere Antisemiten, die gewürdigt werden“. Maria Theresia nannte sie – und auch die Leopoldstadt, den zweiten Wiener Bezirk, benannt nach Leopold I. (1640–1705), der die Juden von dort vertrieb.
Den ebenfalls von Spera und früher schon von anderen gebrachte Vorschlag, das Denkmal schiefzustellen – oder weitergehende Ideen irgendwelcher Verunstaltungen sind freilich ebenfalls problematisch: Wohl keinem, dem ein Denkmal gesetzt wurde, gebührt uneingeschränkt die glanzvolle Pose seines Standbilds. Denkmäler an sich sind ja schon Ausdruck einer uns heute eher fremd gewordenen Geisteshaltung.
Die von Rathkolb genannte Cancel Culture – also das Bestreben, alles, was einem ideologisch widerstrebt, zu entsorgen – gibt es freilich längst, und sie richtet sich nicht nur gegen Denkmäler. Insbesondere im universitären Bereich entfaltet sie ihre bizarren Blüten. Jüngstes Beispiel (welches sich in eine unübersehbare Reihe ähnlicher Vorfälle einfügt): An der Berliner Humboldt-Uni wurde der Vortrag einer Biologin mit dem Titel „Geschlecht ist nicht gleich Geschlecht. Sex, Gender und warum es in der Biologie nur zwei Geschlechter gibt“ abgesagt, gecancelled. Ein „Arbeitskreis kritischer Jurist*innen“ hatte zu Protesten aufgerufen … Noch Fragen?
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