Kurz-Schluss als Chance für Neustart
Die Spaltung des bürgerlichen Lagers bedeutet nicht automatisch eine linke Mehrheit.
ÖAAB gegen Wirtschaftsbund, verwoben mit der "Nebenregierung" Sozialpartnerschaft. Landeshauptleute gegen Bund. Und ewig Zweiter in der großen Koalition. Das sind die Bleigewichte, die vier ÖVP-Chefs in zehn Jahren nach unten gezogen haben. Jetzt aber geht es wirklich ans Eingemachte. Kurz verknüpft sein Antreten für die ÖVP zu Recht mit einer Radikalreform der Partei. Scheitert er, könnte er mit einer eigenen, sozusagen der "Liste Kurz – en marche" antreten. Diese hätte gute Chancen, auf über 25 Prozent zu kommen (und auch die Neos plattzumachen). Das Beispiel Irmgard Griss hat es gezeigt. Der Außenminister hat ein Netzwerk in und außerhalb der Partei gesponnen. Ironischerweise ist ein Bund, die Junge ÖVP, seine Machtbasis.
Kreiskys alter Traum – die Spaltung des bürgerlichen Lagers, die er mit der für die FPÖ günstigen Wahlreform erreichen wollte – hätte sich damit erfüllt. Das bedeutet aber nicht automatisch eine linke Mehrheit. Rot-Grün wird sich nicht ausgehen. Die Grünen sind im Bund – auch personell – ausgelaugt und in Wien gespalten.
Wenn Inszenierungsmeister Kern jetzt Kurz die Hand zur "Reformpartnerschaft" (© Voves und Schützenhöfer) reicht, dann ist das reine Show. Die SPÖ hat ihre Wahlkampf-Kanonenrohre längst auf den jungen Kontrahenten gerichtet. Kaum zufällig tauchen derzeit allerlei Meldungen auf, bei welchen außenpolitischen Events Kurz derzeit leider nicht auftaucht. In den sozialen Medien mehren sich abfällige Äußerungen (natürlich sind da wie immer auch ÖVPler von der Fraktion "siebter Zwerg von links" dabei). Doch seine "rechte" Migrationspolitik, von der SPÖ anfangs heftig kritisiert, wurde von dieser (und weiten Teilen Europas) nachvollzogen.
Für Kern wäre es besser, würde sich Kurz noch ein wenig in den Mühen der Ebene erschöpfen. Abgesehen davon ist das rote Hinterland derzeit schwach. In Wien tobt ein ungeklärter Machtkampf, in vielen Bundesländern führt die SPÖ ein Schattendasein. Daher bemüht sich der Kanzler zumindest vordergründig um eine Fortsetzung der Legislaturperiode. Doch die jetzt auch im Raum stehende Minderheitsregierung hat keine Chance. Wer, bitte, würde in einem Permanent-Wahlkampf die notwendigen unpopulären Maßnahmen setzen?
Und die FPÖ? In einem zugespitzten Wahlkampf Kern gegen Kurz wird Heinz-Christian Strache eher alt wirken. Vorzeitig abschreiben sollte man ihn (wie immer) jedoch nicht, schließlich hat er mit Norbert Hofer ein Ass im Ärmel. Der Ex-Hofburg-Kandidat hat sich in einem langen Wahlkampf aufgebaut. Die Blauen verfügen zudem über eine Stammwählerschicht, die zumindest ein Viertel der Wähler ausmacht.
Alles blickt jetzt auf Kurz. Am internationalen Jobmarkt fände er genügend besser bezahlte, deutlich weniger stressige Angebote. Eigentlich ein Wunder, dass er sich das alles antut. Denn der kommende Wahlkampf, so viel ist sicher, wird hart und wohl auch unfair.
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