Kulturpolitik: Und jetzt einen Vollprofi

Angeblich ist Österreich eine Kulturnation. Na dann. Der Weg ist frei – wenn Kunst von der Beilage zur Hauptspeise wird
Gert Korentschnig

Gert Korentschnig

Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“, heißt es in der „Dreigroschenoper“ von Bertolt Brecht. Passt gut zu den Aufsperrplänen der Bundesregierung. Von Baumärkten und Fußballplätzen ist leider nicht die Rede in der Ballade „Denn wovon lebt der Mensch“ von Mackie Messer.

Freitagfrüh sperrten die ersten Nahrungsaufnahmebetriebe wieder auf. Ende Mai dürfen die ersten Kulturveranstaltungen wieder stattfinden – zumindest im kleinen Rahmen, der von Monat zu Monat größer werden soll. Die Auflagen sind für manche unerfüllbar, immerhin gibt es nun aber welche, die vom grünen Parteichef Werner Kogler und von Gesundheitsminister Rudolf Anschober Freitagmittag bekannt gegeben wurden. Das zeitlich Absurde daran: Zweieinhalb Stunden davor hatte Staatssekretärin Ulrike Lunacek ihren Rücktritt verkündet, sehr persönlich, etwas beleidigt und wehleidig. Hätte sie selbst vor ein paar Tagen diese Erleichterungen verkündet, wäre sie vielleicht noch im Amt. So aber war zwischen ihr und der Künstlerschaft bereits zu viel Porzellan zerbrochen, obwohl es andere waren, die mit Elefanten agiert und argumentiert hatten.

Lunacek ist eine sympathische, seriöse, in anderen Bereichen kompetente Person – für Kunst und Kultur war sie die Falsche. Möglicherweise nicht schon bei Amtsübernahme (wenn sie Zeit zur Einarbeitung gehabt hätte), spätestens aber seit der Machtübernahme durch das Virus. Sie konnte die Kulturszene, die per se inhomogen, teilweise von lautstarken Egozentrikern geprägt ist, nie vereinen. Sie erhielt aber auch nicht ausreichend Rückendeckung. Ihr Parteichef hat dieses Thema, wohl im Wissen um eigene Kompetenzmängel, völlig delegiert. Vom Kanzler kam erst am Tag vor Lunaceks Rücktritt eine Art von Bekenntnis zur Kultur. Fast hatte man den Eindruck, als würden manche Regierungsmitglieder genüsslich zuschauen, wie Lunacek den von der Krise so arg gebeutelten Karren gegen die Wand fährt.

Kulturpolitik ist seit Jahren ein Wanderpokal und zumeist desaströs in dem Land, das vordergründig so stolz auf seine Kultur ist. Entweder wird sie Ministern umgehängt, die andere Großbaustellen betreuen und keine Zeit dafür haben. Oder sie wird für die Ausdehnung des eigenen Machtbereiches und das Abtauschen von Spitzenjobs missbraucht. In der Corona-Krise fiel manche Schutzmaske – und man sah, wie sehr Kultur als verzichtbares Wohlfühlbeiwerk empfunden wird.

Jede Krise ist eine Chance, lautet ein nicht immer richtiger Satz. Für Kunst und Kultur stimmt er. Jetzt braucht es einen Vollprofi, künstlerisch und politisch vernetzt, kompetent, visionär, auf die Sache statt aufs Ego fixiert. Ein Theater ist so gut wie sein Intendant. Das gilt auch für eine Kulturnation und ihren höchsten politischen Repräsentanten.

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