Kreisky, Kneissl und die Russen

Martina Salomon
Österreich hat eine Tradition als neutraler Vermittler. Doch das Selbstbild ist etwas glanzvoller als die Realität.
Martina Salomon

Martina Salomon

Es gibt so identitätsstiftende Begriffe in der Zweiten Republik: Neutralität, Opernball oder Bruno Kreisky. Es nicht unschlau von Außenministerin Karin Kneissl, sich auf den Ex-Kanzler und seine Vermittlerrolle zu berufen. Der „Sonnenkönig“ wird ja heroisiert, daher hat man problematische Seiten verdrängt: seine fehlenden Berührungsängste zu ehemaligen Nationalsozialisten und seine überaus kritische Haltung zu Israel zum Beispiel. Allerdings spielte Österreich unter seiner Regierungszeit tatsächlich eine gewisse internationale Rolle. Das Trio Brandt, Palme und Kreisky hatte Format, und Kreisky stärkte Wien als neutralen Konferenzort im Kalten Krieg.

Wer hätte gedacht, dass die Konfrontation des Westens mit Moskau (nach dem Giftanschlag auf einen Doppelagenten in England, hinter dem Russland stecken könnte) wiederkehrt? Wie beim Streit trotziger Kinder weist man gerade wechselseitig massenhaft Diplomaten aus, obwohl es davor heiklere Situationen – Stichwort Krim und Ostukraine – gab. Ein fast lächerlich-hilfloses, angeblich diplomatisches Ritual. Und ein guter Zeitpunkt für Österreich, wieder in die Vermittlerrolle zu schlüpfen und damit auch irgendwie zum Profiteur der heiklen Weltlage zu werden. Das geht in diesem Fall besonders gut, weil Russland traditionell – schon vor der FP-Regierungsbeteiligung – gute Kontakte zu Wien pflegt. Die heimische Wirtschaft hat hohes Interesse am russischen Markt. Putin hat das Glück, in Wien als „guter Diktator“ gesehen zu werden, wie er einst in einer Pressekonferenz in der Wirtschaftskammer scherzte.

Können wir „Brückenbauer zwischen Ost und West“ sein, wie Kanzler Kurz meinte? Jein, weil Österreich in EU-Beschlüsse eingebunden ist und ab Juli sogar die EU-Präsidentschaft innehat. Sich aus Gemeinschaftsbeschlüssen herauszuhalten, wird da schwer. Kneissl betont zu Recht, dass sich Österreich als „westliches Land“ betrachtet – manchmal durchaus mit „Balkan“-Mentalität könnte man zweifach boshaft anfügen. Auf diesem Westbalkan hoffen übrigens einige Länder auf Österreich als Fürsprecher. Am Freitag fand dazu ein Minigipfel in Wien statt.

Militärisch, aber nicht ideologisch neutral Wer sich auf den Sozialdemokraten Kreisky beruft, könnte aber auch auf die ÖVP-Politiker Busek und Mock verweisen. Sie haben schon vor 1989 den Dialog mit der Opposition jenseits des Eisernen Vorhangs gepflegt. Damals stand Österreich tatsächlich auf der richtigen Seite. Das militärisch, aber keineswegs ideologisch neutrale Österreich kann tatsächlich seine Dienste bei der Vermittlung in Konflikten anbieten, sollte seine Möglichkeiten aber nicht überschätzen. Vielleicht lässt sich in Zeiten erhöhter Ost-West-Spannungen die Hülse unserer Neutralität mit Inhalt füllen. Dennoch wäre es Zeit, wenn wir das gute Bauchgefühl Neutralität gegen ein gutes Europagefühl tauschen könnten. Auch wenn es angenehm ist, einen Vorwand zu haben, sich aus allem rauszuhalten und nur Brückenbauer sein zu wollen.

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