Haben Aktien die Sommergrippe – oder sind sie ernsthaft krank?

Haben Aktien die Sommergrippe – oder sind sie ernsthaft krank?
Die Verunsicherung durch Italien und den US-Handelsstreit wächst. Die robuste Konjunktur hielt das bisher aus.

Die Aktienmärkte haben seit Mitte Mai in Europa, spätestens seit Anfang Juni auch in den USA, den Rückwärtsgang eingelegt. Dabei sind die Unternehmensmeldungen keineswegs Anlass für Pessimismus. Doch die Neuformierung einer europaskeptischen Regierung in Italien und das Aufschaukeln von Handelsstreitigkeiten zwischen den USA, China  und der Europäischen Union ließen Vorsicht gegenüber risikobehafteten Anlagewerten einziehen.

Italienische Bankaktien gerieten noch heftiger als sonstige Bankentitel in Europa in den Abwärtsstrudel, aber auch Auto- und Grundstoffwerte.  Kommt nun das befürchtete Sommerloch für die Börsen oder  sogar der Beginn eines längerfristigen Abwärtstrends? Tatsächlich haben sich einige Indikatoren seit Jänner, als die Aktienmärkte weltweit einen fulminanten Jahresstart mit Kurssteigerungen von  teils 10 Prozent und mehr hingelegt hatten, abgekühlt. Das trifft auf die Umfragewerte bei Unternehmen besonders zu. Die Stimmung hat sich klarerweise verschlechtert, weil jede Unsicherheit die Investitionslaune bremst. Und tatsächlich haben sich die harten Fakten im ersten Halbjahr in der Eurozone etwas schwächer als  erwartet entwickelt. Das betrifft das BIP-Wachstum, die Investitionen und die Industrieproduktion.

In Österreich hat sich dagegen die Dynamik bisher erfreulich fortgesetzt. Wenngleich die Aufwärtskräfte in den kommenden Quartalen etwas nachlassen dürften, ist ein reales BIP-Wachstum von rund drei Prozent wie im Vorjahr realistisch. Damit haben die heimischen Unternehmen wieder auf die Überholspur in der Eurozone gefunden. Ein Grund ist das robuste Wachstum bei unseren wichtigen Handelspartnern in Zentral- und Osteuropa.

Ab Juli droht Ungemach Die Strafzollandrohungen verunsichern zwar, noch sind die Maßnahmen aber nicht so gravierend, dass sie den Konjunkturzyklus in Mitleidenschaft ziehen. Mit Stahl und Aluminium hat es begonnen und mit „Vergeltungsaktionen“ Chinas (Flugzeuge und Sojabohnen) und der EU (Harley Davidson, Jeans und so weiter) sind Reaktionen erfolgt. Dabei ging es bisher um „symbolische“ Volumina von jeweils rund drei Milliarden Dollar. Ab Juli droht größeres Ungemach. Russland, Indien und die Türkei haben „Vergeltungszölle“ auf diverse US-Produkte angekündigt. Ab 6. Juli wollen die USA chinesische Waren im Wert von 50 Milliarden Dollar mit Strafzöllen belegen; China hat gleiches angedroht.

Ein echtes Problem wäre jedoch, wenn die USA die Einfuhrzölle auf europäische Autos anheben und eine ungeahnte Spirale von Handelsblockaden entsteht. Da hier alle verlieren würden, ist dieser Fall weniger wahrscheinlich. Wird das globale Wachstum zwar beeinträchtigt, aber nicht abgewürgt, dann sollten die Unternehmensgewinne in den kommenden Quartalen nicht signifikant von den Schätzungen (+7 bis 10 Prozent) nach unten korrigiert werden. Solange keine ernsthafte Gefahr eines Konjunktureinbruchs existiert, bleibt das langfristige Aktienkurspotenzial intakt. Aber kurzfristig könnten EU-Politik, Zollschranken und Brexit-Sorgen für Sommergewitter an  den Börsen sorgen.

Peter Brezinschek ist Leiter von Raiffeisen Research, der Volkswirtschafts- und Finanzmarktabteilung der Raiffeisen Bankengruppe in Österreich und CEE.

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