Das Wertvolle hat oft keinen Preis
Eine Gesellschaft, in der alles einen Preis hat, wäre nicht mehr lebenswert.
Als der Kommunismus zusammenbrach, die Berliner Mauer fiel und das riesige, nur von Waffengewalt geeinte Sowjet-Imperium zerfiel, triumphierten die Vertreter der freien Marktwirtschaft. Der amerikanische Politologe Francis Fukuyama verstieg sich sogar zur These vom „Ende der Geschichte.“ Demokratie und Markt würden die Menschen bis ans Ende aller Tage begleiten. Das war Anfang der 1990er-Jahre. Spätestens seit dem Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers vor rund vier Jahren machen völlig andere Theorien die Runde. Insbesondere in Europa klammern sich die Bürger wieder an den Staat, der doch bitte wieder alles richten solle.
Der amerikanische Michael J. Sandel hat jetzt ein Buch herausgebracht, das gleichzeitig die Bedeutung der Marktwirtschaft und ihre Grenzen beleuchtet. „Was man für Geld nicht kaufen kann“ erklärt uns Sandel und erläutert die moralischen Grenzen des Marktes.
Was ist käuflich?
Da wir in Europa noch immer Trends aus den USA übernehmen, ist es schon deshalb interessant, sich mit dem Harvard-Professor Sandel zu beschäftigen. Er bringt nämlich unzählige Beispiele, wie in den USA bereits so gut wie alles käuflich sei – und wie Staat und Unternehmen das auch für sich nutzbar machen.
Niemand steht gerne in der Schlange. In New York zahlt man Arbeitslose dafür, dass sie sich für begehrte Theaterkarten anstellen. Aber das Modell funktioniert inzwischen auch beim Kongress in Washington, wo Lobbyisten andere fürs Warten zahlen. Und natürlich gibt es inzwischen Firmen, die daraus ein Geschäftsmodell entwickelt haben.
Das klingt alles harmlos, aber gezahlt wird in den USA auch dafür, dass Kinder Bücher lesen, dass Dicke abnehmen, dass Ärzte ihre Handynummern an Patienten geben, dass sich drogensüchtige Frauen sterilisieren lassen, dass man im Gefängnis eine bessere Zelle bekommt. Die Beispiele ließen sich noch lange fortsetzen.
Was hat einen Wert?
Der Markt funktioniert, finanzielle Anreize werden gerne genutzt. Und gleichzeitig spürt jeder, dass nicht alles im Leben käuflich sein kann. Freundschaft, Liebe, Fröhlichkeit, Wohlbefinden – das alles und vieles mehr ist nicht in Geldbeträgen zu berechnen.
Und was heißt das für uns?
Zunächst einmal, dass das Funktionieren des Marktes zu akzeptieren ist. Wer glaubt, dass man mit Wohnungen kein Geld verdienen darf, soll sich Fotos aus der DDR ansehen. Dort waren die Mieten billig und die Häuser entsprechend desolat.
Aber wir müssen uns Bereiche in der Gesellschaft erhalten, wo es um den Wert und nicht um den Preis geht. Was Freiwillige jeden Tag in Österreich leisten, ist gar nicht in Geld umzurechnen. Und würde man es tun, wären Idee und Idealismus kaputt. Eine Gesellschaft, in der alles einen Preis hat, wäre nicht mehr lebenswert.
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